Seit Jahren wollte ich gerne Herkunft von Saša Stanišić lesen, weil das Buch 2019 in diversen Bestenlisten auftauchte. Das albernerweise scheiterte daran, dass mein Stapel ungelesener Bücher so hoch war und ist, so dass ich ihn durch einen weiteren Kauf nocht noch vergrößern wollte. Als "Schlupfloch" kann ich im Rahmen meines Audible-Abonnements weitere Bücher spontan aussuchen, dort liegt der autobiographische Roman aber nur gekürzt vor; mit gekürzten Hörbüchern habe ich bereits schlechte Erfahrungen gemacht und meide sie deshalb. Ende letzten Jahres kaufte ich mir das Buch dann eben doch endlich als eBook, man gönnt sich ja sonst nichts.
Herkunft behandelt eine ähnliche Grundthematik wie Tijan Silas Radio Sarajevo - beide Autoren erzählen autobiographisch (aber eben doch in Romanform) davon, wie sie als Kinder den Kriegsbeginn in Jugoslawien erlebten und mit ihren Eltern nach Deutschland flohen. Währen der Blickpunkt bei Sila auf der Zeit vor der Flucht und dem Thema Krieg liegt, geht es bei Stanišić schwerpunktmäßig um die Geschichte seiner Familie und sein eigenes Ankommen (und Bleiben) in Deutschland.
Ich hatte mit einer lineareren Geschichte gerechnet; Herkunft springt hin und her zwischen den Lebensgeschichten der Großeltern und Eltern, Stanišićs eigenen Erfahrungen als Schüler in Heidelberg (denn dessen Erfahrungen dürften weitgehend denen des Erzählers entsprechen), Besuchen in seiner Geburtsstadt Višegrad mit Reisen in die Familiengeschichte - und hat einen weiteren Fokus in der zunehmenden Demenz seiner Großmutter. Der Autor verknüpft sein eigenes Hin- und Herspringen in Erinnerungen geschickt mit dem ebenfalls immer weniger chronologischen Erinnerungsvermögen seiner Großmutter. Diese befindet sich je nach Tagesform an ganz unterschiedlichen Punkten der eigenen Lebensgeschichte.
Der Roman endet mit einer Pastiche von Rollenspiel-Romanen; der Erzähler flieht mit seiner Großmutter aus dem Pflegeheim, um den Großvater von einem Drachen zu befreien, die Leser dürfen nach jedem Schritt entscheiden, wie es weiter geht. Möglicherweise erklärt dieser Kniff auch, warum es kein ungekürztes Hörbuch gibt - so etwas funktioniert ja in diesem Format nicht.
Herkunft ist nicht das Buch, mit dem ich gerechnet hatte, hat mir aber dennoch sehr gut gefallen.
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