Weihnachtssterne und Erntedankfest im Mai: Patrick Wolf im Kölner Gebäude 9


Als mein Freund mich fragte, ob ich Interesse daran hätte. Patrick Wolfs Konzert in Köln zu besuchen, erinnerte ich mich sofort daran, dass wir den englischen Musiker schon einmal gemeinsam in Stockholm gesehen hatten, im Rahmen des Stockholm Music & Arts Festivals 2016. Ohne die Erinnerungsstütze durch meinen Blog (die manchmal sehr praktisch ist) hätte ich noch sagen können, dass der Auftritt mittags stattfand, es aber dennoch sonnig und heiß war, und dass Wolf damals erzählte, er habe kürzlich viel Zeit allein verbracht und komme noch nicht sonderlich gut damit zurecht, wieder unter Menschen zu sein. Der Auftritt an sich hatte mir musikalisch aber sehr gut gefallen. Dem Bericht von damals entnehme ich, dass trotz des sonnigen Wetters hauptsächlich traurige Song gespielt wurden, und ich erinnere mich auch dunkel, mir ein wenig Sorgen um das psychische Wohl des Künstlers gemacht zu haben.



Tatsächlich hatte Wolf damals (laut Wikipedia) gerade erst einen Burnout hinter sich, dem ein Autounfall folgte, und litt zusätzlich darunter, dass seine Mutter schwer erkrankt war; zwischenzeitlich war er auch alkoholkrank. Er ist über die Jahre vereinzelt immer wieder live aufgetreten, aber erst 2022 veröffentlichte er wieder neue Musik, für 2025 wurde ein neues Album, "Crying The Neck", angekündigt, für das er in Großbritannien und Europa auf Tour ging - nur, dass die Platte, anders als geplant, immer noch nicht erschienen ist.



Am Dienstagabend im Gebäude 9 hatten wir in der Wartezeit ausreichend Gelegenheit, die kuriose Bühnenausstattung zu bewundern: Im Hintergrund konnte man ein Bild sehen, das wohl Getreidegrannen darstellte (was zum Cover des neuen Albums passen würde), an der hinteren Wand lehnten außerdem zwei riesige weiße (Flug-)Drachen, der rechte davon war mit Zeilen aus dem altenglischen Gedicht "The Wanderer" bemalt.

Mit einer Vorband hatten wir an diesem Abend nicht gerechnet (und hätten eine solche ehrlich gesagt auch nicht vermisst), aber schon beim Passieren des Merch-Standes hatten wir gesehen, dass hier reichlich Material von "Rhumba Club" ausgelegt war. 



Rhumba Club entpuppte sich als Solokünstler mit modischem Topfschnitt, der allein im Retro-Discosound musizierte und sang (gelegentlich auch im versuchten Falsett) - was generell sehr gut ankam. Stiltechnisch mussten wir manches Mal an Hot Chip oder auch Underworld denken. Nach dem Auftritt wurden die Keyboards nicht abgebaut, das Equipment des Hauptacts stand ohnehin schon bereit.

Ganz vorne auf der Bühne schien sich ein Haufen aus Makramee-Garn zu befinden, der hinter sich ein sehr niedriges Keyboard verbarg. Als weitere Dekoelemente entdeckten wir den auf dem Plattencover zu  sehenden, sichelartigen Stab, zusätzlich wurden noch zwei Haarkränze und ein zunächst nicht definierbarer Kleiderhaufen auf die Bühne gebracht.




Auch in Bezug auf die Instrumente gab es einiges zu sehen, neben Schlagzeug und Keyboard sowie zwei Geigen (eine davon vermutlich eine Viola) konnten wir auch zwei langgezogene Saitenintrumente sehen, von denen wir erst später erfuhren, dass es sich um Dulcimers handelte (Verwandte der Zither). Auch ein Akkordeon konnten wir erspähen.

Schon vor Beginn des Hauptacts waren Mitglieder der Band geschäftig auf der Bühne unterwegs gewesen, nun betraten sie geordnet und mit Wolf die Bühne: Sophie Crawford nahm links Platz und hatte den ganzen Auftritt lang viel zu tun mit Akkordeon, Dulcimer, Gitarre und auch reichlich Gesang. Rechts war Charlie Stock mit Geige und Bass beschäftigt. Nur der Schlagzeuger Tom Pitts (gleichzeitig auch der Tourmanager) wirkte von seinen Bühnenaufgaben, die auch einige Gitarreneinsätze umfassten, manchmal etwas gelangweilt.



Patrick Wolf selbst hat sich seit dem Auftritt vor neun Jahren enorm verändert: Seine damals schwarz gefärbten Haare sind nun platinblond, er selbst ist deutlich schmaler geworden - sein Gesicht wirkte im Bühnenlicht manchmal geradezu hohlwangig. 

Nicht verändert hat sich seine Neigung zum Bühnenkostüm: Damals in Stockholm hatte er ein T-Shirt getragen, an das ein Tuch genäht war. Nun erschien er in einer antik wirkenden Lederhose mit passenden Stiefeln und einer Brokatjacke, an der ähnlich zu damals ein zusätzliches Stoffband hing. Und auch die Requisiten sollten im Laufe des Auftritts zum Einsatz kommen, allein die Drachen blieben an ihrem Platz.



Wolf hat ein großes Interesse an englischen Traditionen - das war schon anhand der altenglischen Gedichtzeilen als Teil der Bühnendekoration erkennbar, auch der Albumtitel "Crying the Neck" bezieht sich auf eine Erntedank-Tradition von Bauern in Cornwall und Devon. Dabei hält ein Landarbeiter die letzte Handvoll abgeschnittenen Mais in die Höhe, und es werden eine Reihe von Rufen gesungen. Wolf selbst ist vor einigen Jahren nach Kent gezogen und interessiert sich sehr für die lokale Folklore. "Crying the Neck" ist das erste von vier geplanten Alben, die dem heidnischen Jahreskreis folgen sollen.

Das erste Lied, "Enter the day" bot Wolf allein dar, und auch im Lauf des Sets spielte er "Wolf Song" solo. Ein Laptop, der für diverse Songs zum Einsatz kommen sollte, bereitete immer wieder Ärger - Wolf bezeichnete ihn als "English", was wohl bedeuten sollte, dass in seinem Heimatland auch sonst nichts funktioniert (englische Publikumsmitglieder lachten herzlich). Die Computerprobleme führten dazu, dass Wolf "Teignmouth" kurzerhand durch "On Your Side" ersetzte, ein Lied, das sich mit dem Tod seiner Mutter beschäftigt. Später entschied er sich aus demselben Grund bei "The Days" spontan für eine akustische Version. Die Band machte bei allen Änderungen routiniert mit, auch sonst merkte man das eine oder andere Mal, das Wolf hier per Handgeste dirigierte, ein weiteres Wiederholen einer Partie anforderte oder auch das Ende eines Songs.



Die Tatsache, dass "Crying The Neck" anders als geplant noch nicht erschienen ist, hielt Wolf nicht davon ab, insgesamt sechs Songs von dem Album zu spielen. Gemeinsam mit den älteren Liedern ergab sich ein großes musikalisches Spektrum aus Pop, Folk und Rockigerem. Zum spontan eingebauten "On your side" erzählte er, er habe davon geträumt, dass Joni Mitchell ihm vorwarf, seine Dulcimer nicht zu spielen. Er habe entgegnet, dass auch Cyndi Lauper dieses Instrument spielt.

Zu "Hymn of the Haar" äußerte sich Wolf ein weiteres Mal kritisch zum Thema England - er erzählte, dass das Lied von den Klippen von Dover handele. Dover sei sinnbildlich für all die Krisen, die aktuell in seinem Heimatland stattfinden, insbesondere, was Migration und Handel betrifft. Man könne sich davon aber auch abwenden und die Schönheit genießen.  Zu "Limbo" kehrte Rhumba Club als zusätzlicher Keyboarder zurück auf die Bühne und spielte bei einigen Liedern mit, er wurde von Wolf aber früher als geplant wieder entlassen, als dieser sich entschied, ein weiteres Lied spontan akustisch zu spielen. 



Gegen Ende des Konzertes hörten wie Wolf bekanntesten Song "The Magic Position", das vom Publikum auch am begeistertsten aufgenommen wurde. Das, was wir zu Beginn für einen Kleiderhaufen gehalten hatten, entpuppte sich als ein weiteres, aus Flicken zusammengesetztes Outfit, das Wolf zu "She Didn't Dance" anlegte und für den Rest des Sets anbehielt.  Die beiden Haarkränze - einen davon mit weihnachtlichen Strohsternen - trug er ebenfalls zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Charlie Stock trug einen ähnlichen die ganze Zeit. Auch mit dem Stab wurde zwischenzeitlich (bei "The Bachelor") hantiert.



Den Abschluss des Konzertes bildete - anders, als die gedruckte Setliste das vorgesehen hatte - "Paris", das Wolf all seinen Hardcore-Fans widmete. Im Anschluss blieb für das Publikum eine Weile lang unklar, ob die Band nochmals zurückkehren würde, letztlich tat sie es aber nicht. Auch so hatte das Konzert zwei Stunden gedauert.

Ich hatte während des Konzertes einerseits den Eindruck, vieles von den Inspirationen und Motiven nicht ganz zu verstehen, zumal ich mit den Songinhalten auch nicht allzu vertraut war. Musikalisch gefiel es mir dennoch sehr gut, und ich fand auch, dass Wolf unabhängig von all seinen Requisiten und Outfitwechseln eine extrem starke Bühnenpräsenz hatte - und auch einfach sehr gut singen kann. Gut, dass es ihm nun offensichtlich besser geht als 2016!


Setliste:

Enter the Day
Ghost Song
Wind in the Wires
Jacob’s Ladder
To the Lighthouse 
The Last of England
Bluebells
On Your Side
Dies Irae
The Bachelor
Damaris 
Jupiter
The Days
Hymn of the Haar
Wolf Song
Limbo
The Magic Position 
She Didn’t Dance (The Clancy Brothers and Tommy Makem Cover)
Vulture 66
The Future 
Together
Paris

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