Konzerte auf Dächern haben in der Popmusikgeschichte ja eine gewisse Tradition. Auch Erdmöbel, die bereits zweimal auf dem Dach der Kölner Volkshochschule aufgetreten sind, wollten nach über zehn Jahren wieder einmal ein solches geben, und als spektakuläre Location boten sich die Kranhäuser am Kölner Rheinufer mit ihrer Aussicht über Stadt und Umgebung besonders an. Aus Perspektive der Band absolut erstrebenswert, keine Frage, aber wo sollte nur das Publikum hin? Auf dem Dach konnten nur 20 Zuhörer untergebracht werden, der Rest musste also ans Rheinufer. Von dort aus kann man die Band auf dem 65 Meter hohen Dach aber natürlich eher erahnen als sehen und hören, folglich wurde eine Lösung in Form von Funkkopfhörern und Plasmabildschirmen gefunden.
Die Band ist ganz oben, sieht ewig weit, ist aber dort in der Höhe gefangen. Das Publikum ist ganz unten im schönen Rheinauhafen, aber frei, und wir sind alle übertrieben weit voneinander entfernt und uns durch die Kopfhörer doch ganz nah.
Letztlich ließ ich mich dann doch überreden, an dem Konzert teilzunehmen, immerhin ist Köln ja meine Lieblingsstadt, den Rheinauhafen kannte ich noch nicht und das Wetter war ebenfalls phantastisch.
Vor Ort galt es zunächst, die Abendkasse mit der Kopfhörerausgabe zu identifizieren, denn der Zuhörerbereich des Konzerts war nicht abgegrenzt und somit das schon vorhandene Publikum zunächst schwer von den restlichen Spaziergängern zu unterscheiden. Mit einem Bierstand und nur vier recht kleinen Flachbildschirmen war das Areal auch sonst nicht sonderlich auffällig. Nach und nach tauchten aber immer mehr Kopfhörerbesitzer auf und platzierten sich wartend vor den Bildschirmen, und kurz nach 8 begann der Auftritt tatsächlich mit „Dreierbahn".
Die Situation, dass eine Gruppe von Menschen auf Kopfhörern dasselbe hört, wirkte sicher für einen Großteil des Publikums anfangs hemmend, und so wurde das bei „Dreierbahn" an und für sich von Publikumsseite erforderliche „Jippie!" nur sehr vereinzelt ausgerufen. Das Arrangement brachte aber auch seine Vorteile mit sich: Menschen picknickten, streckten sich lang auf dem Rücken aus oder nahmen die Hörer kurz ab, um mit ihren Nachbarn zu sprechen: Das klappt alles bei regulären Bandauftritten weitaus schlechter. Unterhaltsam waren auch die das ganze Konzert lang vorbeigehenden Spaziergänger, die teils verwundert stehen blieben, vom Rad fielen, mitsangen oder sich kurz einen Kopfhörer ausliehen.
Die Band selbst wurde nicht müde, uns von der großartigen Aussicht zu berichten, die sie von oben genossen, und die einzelnen Mitglieder traten immer wieder an den Dachrand, um sich uns zu zeigen. Auch dort oben muss die Situation, dass der Großteil des Publikums weder sicht- noch besonders gut hörbar ist, ungewöhnlich gewesen sein. Dafür führte der Jubel von so weit unten und die exponierte Stelle nach eigenen Angaben zu Größenwahngefühlen.
Nach weiteren Titeln aus der Frühphase von Erdmöbel („Lang schon tot", „Wurzelseliger") folgte der schon von der letzten Tour bekannte Akustikblock. Die gespielten Versionen waren wie gewohnt interessant, aber die große Distanz zum Publikum ließ selbstverständlich nicht dieselbe Intimität aufkommen, die man von regulären Clubauftritten gewohnt war. Dennoch sagte Markus, dass ihm „Der blaue Himmel" noch nie so gut gefallen habe wie an diesem Abend.
Wegen der allgegenwärtigen Präsenz des Köln-Panoramas erfuhren wir zudem neue Details: Nach „Busfahrt" nannte Ekki gegenüber Markus das Kölner Krankenhaus, in dem sich die Geschichte des Liedes ereignet haben muss, was diesen nicht unbedingt erfreute. Er kündigte an, jetzt schnell „Dawai Dawai" spielen zu wollen, bevor Ekki auch biographische Details zu diesem Lied ausplaudern könne.
Nach drei Titeln aus dem letzten Album „Krokus" folgte die Coverversion „Wieder allein, natürlich", die wohl ins Set aufgenommen wurde, weil sich zu Beginn des Songs jemand von einem Hochhaus stürzen möchte. Weitere Hochhausbezüge waren die Androhung eines Sturzes gegenüber dem Düsseldorfer Posaunist Henning Beckmann, der über den Kölner Dom gelästert hatte, und der Verweis auf eínen Bunjee-Sprung durch Wolfgang, den die restliche Band gesehen hatte.
Für die folgenden fünf Titel von „Für die nicht wissen wie" bis „In den Schuhen von Audrey Hepburn" nahm das Set deutlich an Tempo auf und animierte zahlreiche Zuhörer zum Mittanzen auf der Uferpromenade, einige spielten Luftposaune oder Luftschlagzeug. Den Abschluss bildete das Cover „Nah bei dir", das als Hommage an den erst letzte Woche verstorbenen Coautor Hal David gespielt wurde. Hier fielen endgültig die Hemmungen in Bezug auf die Kopfhörersituation und die große Entfernung zur Band, es wurde ausgiebig mitgesungen.
Im Verlauf des Konzerts stellten die Erdmöbel beim Blick über die Stadt fest, dass ihre Lieder vermutlich mehr Köln-Bezüge hätten als die der Höhner (passenderweise feierten diese quasi gegenüber am Tanzbrunnen gleichzeitig ihr 40jähriges Bühnenjubiläum). Sie erzählten, dass die Höhner zu Beginn ihrer Laufbahn in Hühnerkostümen aufgetreten seien und kündigten an, dass Erdmöbel sich diesen Gag für das Ende ihrer Karriere aufsparen.
Zum Ende dieses Auftritts folgten im Zugabenteil noch vier weitere Titel, auch wenn stimmungsmäßig der Zenith nun bereits leicht überschritten war. Einen passenden Abschluss stellte „Anfangs Schwester heißt Ende" dar, nach dem die Musiker mit dem Aufzug nach unten zu den wartenden Fans fuhren.
Alles in allem ein interessantes und einzigartiges Konzerterlebnis vor toller Kulisse, was aber nicht bedeuten soll, dass ich demnächst alle meine Lieblingsbands aus großer Entfernung mit Kopfhörern sehen möchte.
Setliste:
Dreierbahn
Lang schon tot
Russischbrot
Wurzelseliger
Der blaue Himmel
Lied über gar nichts
Busfahrt
Dawai dawai
Ausstellung über das Glück
77ste Liebe
Wort ist das falsche Wort
Wieder allein, natürlich
Für die nicht wissen wie
Fremdes
Erster Erster
Das Leben ist schön
In den Schuhen von Audrey Hepburn
Nah bei dir
Vergnügungslokal mit Weinzwang
Snoopy-T-Shirt
Die Devise der Sterne
Anfangs Schwester heißt Ende
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