Es gab Zeiten, in denen es enorm schwierig war, Morrissey live zu sehen. Bei mir hat sich das offenbar verinnerlicht, weshalb ich, als für diesen Herbst zwei Konzerte in Deutschland (in Neu Isenburg und Köln) angekündigt wurden, instinktiv der Meinung war, da müsste ich hin. Dabei hatte ich den ehemaligen Smiths-Sänger ja erst im März in Holland gesehen, und da er seitdem kein neues Material veröffentlicht hat (im Gegenteil ist seine aktuelle Platte "World Peace is None of your Business" wegen Label-Streits meines Wissens nach wie vor nicht mehr zu kaufen), war eigentlich nicht zu erwarten, dass dieses Konzert eine bahnbrechende neue Erfahrung bieten würde. Aber wer weiß schon, wie lange der von gesundheitlichen Problemen geplagte 56jährige sich das Touren noch antut?
Also ging es am Donnerstagabend nach Köln ins vielleicht zu zwei Dritteln gefüllte Palladium. Arbeitnehmerfreundlich (weil es auf diese Art nicht so spät wird) verzichtet Morrissey aktuell auf eine Vorband. Seit dem Streit mit Kristeen Young, weil diese ihn angeblich mit einer Erkältung angesteckt hatte, ist ihm diese Vorband-Sache vielleicht auch einfach zu unhygienisch geworden. Stattdessen gab es die traditionelle Ansammlung von Filmen, die ich teils bereits von mehreren vorherigen Konzerten kannte - für immer und ewig wird wohl der New York Dolls-Auftritt im "Musikladen" enthalten sein - und die teils immer wieder verändert wird. Ike und Tina Turner, ebenfalls im "Musikladen", waren mir beispielsweise neu. Insgesamt muss ich aber sagen, dass die Filmshow für mich an Appeal verliert, dieses Mal wurde sie mir ziemlich lang. Gegenüber einem Kristeen Young-Konzert aber sicherlich zu bevorzugen.
Dann war es schon Zeit für den Hauptact. Wie in Tilburg trug Morrissey ein seltsames Hemd mit V-Ausschnitt und Satinelementen, das er offenbar in jeder Farbe besitzt - wir bekamen zunächst ein weißes Exemplar und später noch kurz eine grüne Version zu sehen. Dazu bevorzugt Moz aktuell 50er Jahre Jeans.
Die Band hatte sich an diesem Abend für einheitliche blaue Hemden entschieden. Während Gustavo neben Keyboard auch Trompete, einmal ein spanisch klingendes Gitarrensolo und eine Art Didgeridoo spielte, konterte Boz Boorer bei "Oboe Concerto" mit besagtem Instrument, Matt Walker durfte immerhin zweimal auf die riesige Pauke hauen. Dennoch blieb Morrissey stets ganz klar der Mittelpunkt des Geschehens.
In Tilburg hatte mich die Setliste nicht sonderlich begeistern können, um so froher war ich, dass Morrissey an diesem Abend gleich mit seiner ersten Single, dem Evergeen "Suedehead" eröffnete. Ganz so "Greatest Hits"-mäßig war das restliche Set dann natürlich nicht - und so toll wie damals in Dublin wird wohl auch nie wieder eine Zusammenstellung sein - dennoch war die Kölner Songauswahl, die unter anderem auch "The World Is Full of Crashing Bores" (mit William und Kate im Hintergrund), "I'm Throwing My Arms Around Paris" und "Everyday is Like Sunday" umfasste, für mich etwas ansprechender als die im März. Dennoch könnte man einige der aktuellen Songs aus meiner Sicht durch bessere ältere ersetzen, aber es ist ja verständlich, dass Morrissey sein aktuelles Werk mag und auch spielen möchte. Vielleicht verzichtet er aber zukünftig zumindest auf die obskuren B-Seiten "Ganglord" und "Yes, I Am Blind"? Die Titel des aktuellen Albums herrschten im Mittelteil des Konzertes vor, zum Ende hin gab es dann Smiths-Titel zu hören.
Morrisseys erste Worte ans Publikum waren "Kunst, Kunst, Kunst!", später erklärte er, er habe einst ein Buch mit dem Titel "Learn German in 30 Days" gekauft, das sei aber 30 Jahre her, und setzte nach "you make it so hard"... ob damit die Deutschen und ihre Sprache gemeint waren? Während der Keyboarder Gustavo beim Konzert in Tilburg bereits in "World Peace is None of Your Business" eine spanische Einlage gesungen hatte ("el pace del mundo no te concierne"... oder so ähnlich), durfte nun auch zu "Speedway" Spanisches beitragen.
Schwer zu ertragen waren die beiden im Bühnenhintergrund eingeblendeten Videos. Bei "Ganglord" gab es ausgedehnte Mitschnitte unangemessener Polizeigewalt zu sehen, die extrem schwer zu verdauen waren. Zu "Meat Is Murder" liefen hinter der blutrot angeleuchteten Bühne wie immer Schlachthausszenen, allerdings war das dieses Mal gezeigte Video neu und besonders verstörend - dabei habe ich kaum hingesehen, da ich der Meinung bin, dass ich das als Bereits-Vegetarierin nicht muss. Veganer ist Moz meines Wissens nämlich selbst auch nicht. Das andere Lied mit tierschützerischem Hintergrund, "The Bullfighter Dies" kündigte er mit "the Shame of Spain" an, ersparte uns aber Filmszenen (die es durchaus gäbe).
Zu den rätselhafteren Erfahrungen des Abends gehörte, dass Morrissey bei "Everyday is Like Sunday" statt eines Teils des Refrain-Textes lieber "Quando Quando Quando" sang, was er anscheinend genauso bereits am Vorabend in Neu Isenburg gemacht hatte. Da war es doch tröstlich, dass zumindest an manchen Traditionen festgehalten wurde: Nach einer rockigen version von "What She Said" verließ Morrissey die Bühne, kehrte zur ebenfalls rockigen Zugabe "The Queen Is Dead" mit einem frischen Hemd zurück (das weiße war bis dahin auch schon arg durchgeschwitzt), zog es nach dem Song aus und warf es in die Menge.
Setliste:
Suedehead
Speedway
Ganglord
Alma Matters
You Have Killed Me
Kiss Me a Lot
Reader Meet Author
Oboe Concerto
The World Is Full of Crashing Bores
World Peace is None of Your Business
I'm Throwing My Arms Around Paris
Everyday is Like Sunday
The Bullfighter Dies
Staircase at the University
Yes, I Am Blind
I Will See You in Far Off Places
Meat is Murder
Boxers
What She Said
The Queen is Dead
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