Rückkehr in den Kaninchenbau: Down The Rabbit Hole 2019 - Tag 3

by - Juli 15, 2019


Eine der Neuerungen beim diesjährigen DTRH entdeckte man direkt, wenn man das Festivalgelände betrat. Der Einlassbereich zum eigentlichen Festivalgelände war bei unserem Besuch 2016 eine künstliche Hecke mit blauen Wasserrädern gewesen. Teile davon konnte man anderswo auf dem Gelände entdecken, der Zugang bestand nun aber in meterhohen, Mikado-artigen Stelen mit einem riesigen Federball dazwischen. Auch innen war wieder vieles künstlerisch und einheitlich gestaltet, auf einer der vielen Lichtungen (war's der Avant Garden?) waren die Umrandungen sämtlicher Fresstände aufblasbar, und ein Heer bunter Schaufensterpuppen sah auf die Besucher herab. In der Nähe der Hauptbühnen gab es zudem in einem Pavillon eine Performance Art-Show von "Maison the Faux" mit in weiß gekleideten Künstlern, für die man sich anstellen musste - wir haben gar nicht erst versucht, ins Innere zu gelangen, aber den draußen für alle schaubaren Werbefilm haben wir schon einmal nicht verstanden.


Nachdem ich im Bericht zu Tag 1 über die positiven und in dem zu Tag 2 zu den negativen Seiten des Festivals schrieb, widme ich Teil 3 den Gästen. Dass bei Festivals einige Besucher die "Urlaubs-Situation" dafür nutzen, sich verrückt anzuziehen, ist völlig normal. Beim Down The Rabbit Hole wird dies geradezu zelebriert, und viele Gäste sind dabei zum Motto "Kaninchen" kostümiert und tragen etwa Hasenohren oder Sachen mit Hasenmuster. Am beeindruckendsten fand ich aber am ersten Tag eine Gruppe (fotografiert haben wir sie leider nicht), die sich als diverse Inkarnationen von Johnny Depp verkleidet hatte. Es gab (themengerecht) den Mad Hatter Johnny Depp, den Piraten-Johnny Depp, Edward Scissorhands und Tonto aus Lone Ranger.


Insgesamt erschien uns das Gelände unglaublich voll - auch wenn es beispielsweise genügend Fressstände gab, so dass sich selten lange Schlangen bildeten, war das Festival doch gerade am Samstag ein einziges Gewusel. Außer uns schienen alle nonstop Bier zu trinken, und viele waren sichtlich angeheitert, was bei den Konzerten manchmal störte. Aggressivität oder sonstige unschöne Trunkenheitsszenen erlebten wir dagegen überhaupt nicht.


Wir selbst sind alte Leute, schlafen im Hotel und würden in gewagter Kostümierung wohl nur negativ auffallen. Also kehren wir zurück zur Musik!

Tag 3 begann am Nachmittag mit LP auf der Hauptbühne. Mein Freund hatte mir bereits Wochen zuvor eine Playliste für die musikalische Vorbereitung gemacht, und ich hatte immer, wenn LP an die Reihe kam, festgestellt, dass ich diese Musik nicht mochte.


Live wurde diese Abneigung eher schlimmer. Die kleine Frau fegte in einem hellen Anzug und mit einem riesigen Hut über die Bühne (und hatte zum Posieren extra zwei kleine Podeste bekommen), hatte zweifellos viel Selbstbewusstsein und Präsenz, aber mir war das alles zu klischeehaft rockig. Die Sängerin hat bereits Hits für Stars wie Christina Aguilera und Cher geschrieben (die nun auch nicht meine Lieblingssängerinnen sind), und man merkte ihren Songs die entsprechende kommerzielle Orientierung auch an. Darüber hinaus war alles sehr "rockröhrig", was nun auch keine Richtung ist, die mich normalerweise begeistert. Ein AC/DC-Cover in der Mitte des Sets fiel hier gar nicht groß auf, am Ende von "House on Fire" wurde zudem "Paint It Black" von den Rolling Stones angespielt.


Mit meiner Genervtheit - ich kann sagen, dass LP der Musik-Act war, der mir beim ganzen Festival am wenigsten gefallen hat - stand ich aber recht allein da, denn der Auftritt war trotz der relativ frühen Uhrzeit hervorragend besucht, und die vielfach begeisterten Zuschauer bildeten ein wogendes Meer aus winkenden Händen. Den größter Hit "Lost On You" verpassten wir, weil wir schon nach zwei Dritteln des Sets gingen.

Setliste:

Dreamcatcher
When We're High
Dreamer
When I'm Over You
No Witness / Sex On Fire
Girls Go Wild
You Shook Me All Night Long (AC/DC Cover)
Tightrope
House On Fire / Paint It Black
Other People
Shaken
Special
Lost On You


Im kleineren Zelt Fuzzy Lop hatten wir bis dahin nur am ersten Tag Low gesehen, nun war die niederländische Sängerin Amber Arcades am Start. Nach LP war ich in der geeigneten Stimmung, so ziemlich alles besser zu finden, und so gefiel mit der "normale" Indie Pop der Musikerin aus Utrecht viel besser, als ich ihn von 2017 in Erinnerung hatte.


Damals hatte die Sängerin mit ihren langen, weißblonden Haaren und komplett weißer Kleidung ein bisschen wie ein Geist gewirkt. Dieses Mal galt der Dresscode "weiß" nur für die Begleitband. Annelotte de Graaf selbst wählte das Outfit, dass sie auch auf dem Cover ihrer aktuellen Platte trägt: Rundum goldenen Samt.


Neu - zumindest für uns, aber vermutlich auch generell - war, dass neben der normalen Band auch ein paar Streicher sowie ein Trompeter dabei waren, die man allerdings häufig nicht gut heraushören konnte. Besonders gut gefielen uns die ganz lauten und die ganz leisen Songs der Sängerin. Unter "leise" wäre "Which Will" zu nennen, für das ein Großteil der Band die Bühne verließ, unter "laut" der letzte Song "Baby, Eternity", der in eine interessante Kakophonie mündete.

Setliste:

Simple Song
Right Now
Oh My Love (What Have We Done)
Goodnight Europe
Alpine Town
Which Will (Nick Drake Cover)
Fading Lines
Antoine
Come With Me
It Changes
Hardly Knew
Baby, Eternity


Weiter ging es im größeren Zelt Teddy Widder mit Aurora, die ich in der Vergangenheit schon bei zwei Festivals gesehen hatte und auf die ich mich sehr freute. Wie erwartet und erhofft hat die Sängerin nichts von ihrem besonderen Charme eingebüßt. Die 23jährige Sängerin aus Norwegen wirkt und spricht wie eine frühreife Zwölfjährige, ich vermute aber, dass sie diesen Eindruck bewusst einsetzt, etwa, wenn sie ihre Freude darüber zum Ausdruck bringt, dass der heutige Tag nicht zu warm sei, denn bei Hitze wolle sie sich gerne umbringen. Auroras überschwängliche Freude darüber, dass Menschen ihre Musik hören wollen, ist aber in jedem Fall glaubwürdig.


"Runaway" kündigte die Sängerin als "sad song" an, und eine junge Frau in unserer Umgebung wurde prompt gleich zu Tränen gerührt. Zu "Apple Tree" erklärte sie vorab, man solle Kinder daran glauben lassen, dass sie die Welt verändern können - weil sie es dann tatsächlich können. Vor "I Went Too Far" erläuterte sie, dass sie an viele Dinge vehement glaubt, darunter Respekt und Gleichheit.


Die Lieder an sich waren rockiger als auf Platte, die Sängerin trug über Hose und Top ein wallendes, durchsichtiges Tüllgewand, mit dem sie energetisch tanzte - so viel, dass ich mich manchmal wunderte, dass sie so gar nicht außer Atem kam, denn wie bei unseren früheren Konzerten saß wieder jeder Ton perfekt.


Zum Endes des Auftritts kamen weitere kurios-kindlich-liebenswerte Ansagen, so lobte Aurora die erste Reihe, weil sie so viel Liebe in den Augen sehe, bedachte aber auch die Leute ganz hinten, denn die seien "tough motherfuckers".

Wieder ein schöner Auftritt einer Sängerin, von der man sicher noch länger hören wird.


Setliste:

The River
Churchyard
All Is Soft Inside
Warrior
In Bottles
Runaway
The Seed
Apple Tree
Forgotten Love
I Went Too Far
Queendom
Running With the Wolves
Daydreamer


Nun kamen wir zum traurigen Teil des Konzerttages, denn mein Freund hatte als einen seiner Hauptgründe, zum Festival zu wollen, Beirut genannt, die nun eigentlich auf der Hauptbühne an der Reihe gewesen wären. Wären, weil der Auftritt der Amerikaner am Donnerstag aus Krankheitsgründen abgesagt worden war. Einen Ersatz hatten die Festival-Organisatoren so kurzfristig nicht mehr organisieren können, und so zeigte man stattdessen das zeitgleich stattfindende Finale der Frauen-Fußballweltmeisterschaft zwischen den Niederlanden und den USA. Dafür fanden sich viele Zuschauer vor der Hauptbühne ein, ich hatte aber den Eindruck, dass die Aufmerksamkeit nicht allzu groß war - es fehlte sie sonst häufig erlebte gespannte Stille mit chort-artigen "Oh"s, die ich sonst vom Fußball schauen in großen Gruppen kannte. Bei einem Enderegebnis von 0:2 erübrigte sich niederländischer Torjubel ohnehin.


Und so kamen wir schon zu unserem letzten Musikact des Tages und des Festivals, Foals (danach spielten noch diverse Bands, aber eben ohne uns). Selbige britische Band wollte ich eigentlich ganz gerne sehen, mein Freund machte mich allerdings darauf aufmerksam, dass ich sie bei einem früheren Festival nicht besonders gemocht hätte. Gebloggt habe ich offenbar nicht dazu, also gibt es keine weiteren Details. In jedem Fall kann ich bei den Foals nicht mit großer Song-Kenntnis glänzen, die beiden "Sendeschlüsse" mit der Band, "Give It All" und "Bad Habit", hatten mir aber gut gefallen. Fest rechnete ich außerdem mit dem ersten Hit "Cassius".


Spoiler: Diese Lieder bekam ich allesamt nicht zu hören.Stattdessen sahen wir ein Set, das wohl am besten mit dem Wort "energiegeladen" zu beschreiben ist. Die Foals hatten offensichtlich beschlossen, an diesem Tag so hart zu rocken, wie sie konnten.

Die Bühne zierte das Bild eines roten Baums, außerdem standen Töpfe mit Palmen herum, was an das Cover des aktuellen Albums "Everything not saved will be lost - Part1" erinnerte (von dem Album wurden übrigens nur zwei Titel gespielt, was sicherlich durch die Festival-Situation bedingt war).


Vor derm Auftritt hatten wir noch beobachtet, wie die Ordner eine behelfsmäßige Treppe zwischen Bühne und Graben bauten, Yannis Philippakis, nutzte diese, nachdem er schon diverse Male die Lautsprechertürme erklommen hatte, aber nicht, sondern sprang einfach von der Bühne (aus einer Höhe, die größer gewesen sein dürfte als er selbst) und dann ins Publikum, wo er einmal hochgehoben wurde und so quasi über der Menge stand, ein weiteres Mal stand er IM Publikum und kehrte aschließlich mit brennender Zigarette zurück auf die Bühne (und schenkte sie nach einem Zug dem Bassisten Jeremy Pritchard).


In der Rubrik "Lieder, die ich schon kannte", konnte ich leider letztlich nur "My Number" verbuchen, aber der Auftritt wird mir dank seiner Energie und der waghalsigen Sprungmanöver dennoch im Gedächtnis bleiben. Das Publikum konnte den Publikumsbesuch des Sängers natürlich auch nicht so auf sich sitzen lassen und reagierte mit eigenem Crowdsurfing.


Mein Freund hatte übrigens nicht viel von dem Foals-Auftritt erwartet, verließ das Festival aber mit der Überlegung, ob er vielleicht das beste Konzert als letztes gesehen hatte.

Setliste:

Mountain at My Gates
Snake Oil
Olympic Airways
My Number
Exits
In Degrees
Spanish Sahara
Inhaler
What Went Down
Two Steps, Twice


Insbesondere am Samstag hatten wir doch sehr zu spüren bekommen, dass wir nicht mehr fit genug dafür sind, den ganzen Tag herum zu stehen. Wir überlegten deshalb, wie man im Laufes des Jahres solche Gewaltakte besser vorbereiten kann:

  • Um unsere Stehkraft zu verbessern, wird Netflix und andere TV-Unterhaltung ab sofort nur noch im Stehen gesehen - vielleicht am besten von der Terrasse aus, das stärkt auch die Resistenz gegenüber diversen Wetterbedingungen. Wer nicht 30 Minuten vor Sendungsbeginn da ist, muss im Garten weiter hinten stehen.

  • Um nicht mehr so schockiert auf die Festivalpreise für Speisen und Getränke zu reagieren, werden zukünftig unterjährig alle Lebensmittel an der Tankstelle eingekauft. In Restaurants wird grundsätzlich der Kinderteller bestellt, denn so gewöhnen wir uns an die kleinen Essensportionen.

  • Und um souveräner mit großen Menschenansammlungen und Gedränge umgehen zu können, werden wir drei Trainingslager in Köln absolvieren: Am heißesten Tag des Jahres in die vollste U-Bahn quetschen, an einem Adventssamstag in der Fußgängerzone flanieren und am Rosenmontagszug teilnehmen (letzteres nimmt auch die Scheu vor ungewöhnlichen Kostümierungen).

So gestärkt gegen wir dann zuversichtlich ins Festivaljahr 2020.



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