Fünf Monate nicht gesungen: Thees Uhlmann am Kölner Tanzbrunnen

by - August 02, 2020


Verrückt: Am Freitagabend sind mein Freund und ich einfach ins Auto gestiegen und nach Köln gefahren. Dort besuchten wir ein Konzert, wobei sowohl der Künstler als auch wir und das restliche Publikum körperlich anwesend waren. Präsentiert wurde auch nicht etwa ein Stream oder Hologramm, sondern eine ganz normale Liveperformance. Nach knapp fünfmonatiger Konzertpause wegen des Coronavirus und der damit verbundenen Schutzmaßnahmen fühlte sich diese Idee im Vorfeld ganz schön verwegen an - aber die Tatsache, dass das Konzert überhaupt stattfinden durfte, noch dazu draußen, ließ uns darauf vertrauen, dass der Veranstalter ein überzeugendes Hygienekonzept vorgelegt hatte.


Der Tanzbrunnen im Kölner Rheinpark ist ein Überbleibsel der Bundesgartenschauen von 1957 und 1971. Auf seinem Open Air-Gelände finden immer wieder Konzerte statt, wobei riesige Faltschirme das Publikum vor Sonne und Regen schützen. Mein bislang einziges Konzerterlebnis an diesem Ort war 2016 mit Damien Rice gewesen. Damals war es sehr voll gewesen, von unseren Stehplätzen aus hatten wir die Bühne nur schlecht sehen können. Das war dieses Mal völlig anders, denn das Konzert war bestuhlt und wir hatten feste Sitzplätze - in der ersten Reihe. Normalerweise fasst das Gelände bis zu 12.500 Menschen, aktuell liegt die Obergrenze bei 1.500.


Auch sonst hatten die Veranstalter sich Gedanken gemacht, wie man Konzerte aufführen könnte, ohne gleich eine Massenansteckung befürchten zu müssen: Wenn man sich nicht auf seinem Sitzplatz befand, musste man eine Mund-Nasenmaske tragen, die Stuhlreihen waren mit großen Abstand aufgestellt. Durchsagen informierten immer wieder über Verhaltensregeln (Hände waschen, bei vorhandenen Krankheitssymptomen gar nicht erst kommen), während Ordner dafür sorgten, dass die Maskenpflicht eingehalten wurde. Am Einlass hatten wir unsere Kontaktdaten angegeben, und die Taschenkontrolle war berührungslos erfolgt. Am kuriosesten erschien uns formulierungstechnisch die doppelt gemoppelte Durchsage zum Thema Mitsingen: "Leider ist das Mitsingen nicht gestattet, Applaus ist stets willkommen. Aus Gründen des Infektionsschutzes ist es leider nicht gestattet, mitzusingen, über Ihren kräftigen Applaus freuen sich die Künstler aber um so mehr."

Für uns überraschend war allerdings, dass der Abstand zwischen den einzelnen Stühlen durchaus eng war: Während ich zwischen meinem Freund und dem Mittelgang saß, saß rechts neben ihm genauso eng eine fremde Person. Ob seitwärts die Ansteckungsgefahr geringer ist? Trotz der Verhaltensregeln herrschte eine ganz normale Konzertatmosphäre, es war nur deutlich leerer als gewohnt (was ja durchaus angenehm ist). Etwas zu schaffen machte uns die Temperatur, in Köln waren es nämlich beachtliche 34 Grad, und während unsere Sitzplätze zuerst im Schatten eines der Schirme gelegen hatten, zog die untergehende Sonne später dann doch noch ausführlich an uns vorbei.


Auch auf und hinter der Bühne gelten offenbar weiterhin Abstandregeln, und so war Thees Uhlmann nur mit zwei weiteren Musikern unterwegs: Simon Frontzek spielte viel Keyboard und wenig Bass, Rudi Meier spielte Gitarre und bediente manchmal mit den Füßen eine Bass Drum, so gleich beim ersten Song "Fünf Jahre nicht gesungen". Thees Uhlmann begrüßte uns mit einer Geschichte darüber, wie er mit seinen Kollegen vor dem Auftritt ein Bier am Rhein getrunken hatte und ein kurioses Erlebnis mit Kölnern gehabt hatte (angeblich wurde Simon Frontzek dabei für Ed Sheeran gehalten) - es blieb (natürlich) nicht die einzige Anekdote des Abends, und auch nicht seine letzte, durchaus überzeugende, Interpretation des kölschen Dialekts.


Die Konzerte waren ausdrücklich unter dem Motto "Songs & Stories" als eine Mischung aus Musik, Erzählen und Lesung angekündigt gewesen, aber nachdem Uhlmann ja meistens recht redselig ist, bemerkte ich in dieser Hinsicht keinen großen Unterschied zu früheren Auftritten. Einem Facebook-Post aus der Probephase kann man auch entnehmen, dass Thees das Einüben der reduzierten Songversionen mit seinen beiden Kollegen wohl so viel Spaß machte, dass er beschloss, der Musik mehr Zeit als geplant einzuräumen.


Eine Überraschung, zumindest für mich, war auch, dass Thees in dem angekündigten "Lesungs"-Teil nicht etwa aus seinem relativ neuen Buch über die Toten Hosen vorlas, sondern aus seinem Roman Sophia, der Tod und ich. Wir erfuhren zum einen, dass Uhlmann bereits vor Ewigkeiten dem Verlag einen Vorschuss von "2000 Mark" abgerungen hatte, den er dann innerhalb von zwei Wochenenden mit Freunden versoffen hatte. Zum anderen erzählte er, dass er die Sexszene, die wir nun zu hören bekamen, auch einst an Weihnachten in einer Kirche seines Heimatortes vorgelesen hatte, während sein Bruder leidend zuhörend neben der Mutter saß.


Vielleicht als Entschädigung für die entfallene Lesung aus dem anderen Buch gab es hinterher ein Tote Hosen-Cover (und natürlich eine Geschichte zum Buch und einem Telefonat mit Campino, den Thees Campi nennt), nämlich "Liebeslied".

Es hat wenig Sinn, all die anderen Geschichten und Monologe wieder zu geben, die die Lieder begleiteten, zumal sie nacherzählt vermutlich sowieso nicht lustig sind. Eine Sache bei Thees Uhlmann ist, dass ich mir nie zu 100 Prozent sicher bin, was genau er nun ernst meint oder nicht... vermutlich wahr war unter anderem seine Geschichte über einen Hannover 96-Aufkleber (erzählt zum Lied "Was wird aus Hannover"), den aus unklaren Gründen der Spruch "Saufen ist megageil" zierte - was zu einer Art Leitsatz für den Abend erklärt und öfters wiederholt wurde. Lustig war auch Thees' gespieltet Ärger über den großen Jubel, als er die ersten Takte des Tomte-Liedes "Ich sang die ganze Zeit von dir" gespielt wurden - er brach ab und rief "Wo wart ihr denn, als wir damals in Bonn gespielt haben? Hier haben gerade mehr Leute geklatscht als früher im gesamten Kölner Underground!"


Sicherlich ernst gemeint war auch Uhlmanns geäußertes Bedauern, im Anschluss an das Konzert nicht mit all seinen Kölner Freunden sprechen (und Bier trinken) zu können, weil niemand hinter die Bühne durfte. Er hat nämlich eine Weile lang in Köln studiert - wie er freimütig zugab eine komplette Verschwendung von Steuergeldern, da er hauptsächlich Punk-Konzerte besuchte. Als Norddeutscher vom Land fühlte er sich zunächst sehr einsam und zelebrierte sein Anderssein durch kuriose Kleidung, bis er in dem späteren Journalisten Linus Volkmann eine verwandte Seele kennen lernte.


Auch wenn die dargebotenen Songs durchaus "reduziert" klangen, zumal die nur eingeschränkt vorhandene Rhythmusgruppe aus Bass und Schlagzeug kaum zum Einsatz kam, war es sehr schön, sie live zu hören. Viele Texte bringen einen einfach zum Lächeln (etwa aus "Junkies und Scientologen": "Für meine kleine kaputte Kirche und die Vierfaltigkeit der Bobs, Bob Marley, Bob Dylan, Bob Andrews und Bob Ross"), und die Geschichten drumherum waren natürlich auch amüsant.

Das Konzert endete zunächst mit "Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf", zu dem es gleich mehrere lustige Geschichten zu erzählen gab: Beim Bundesvision Song Contest 2011 hatte Uhlmann dieses Lied vorgetragen und hinter der Bühne von Lena Meyer Landrut erfahren, dass sie zu einem Tomte-Lied das erste mal geknutscht habe. Außerdem habe ihn ein Kölner, den er kurz danach nach dem Weg zur Live Music Hall gefragt hatte, nach längerem Dialog als "den mit dem Fischlied" erkannt.


Das Mitsingen der Melodie wurde von Thees zunächst durchaus ermutigt, aber als die Band für die Zugabe zurück kam, hatte ihn offenkundig jemand daran erinnert, dass Mitsingen grundsätzlich eher nicht willkommen war.

Das Ende der ersten Zugabe, Tomtes "Schönheit der Chance", fiel mit dem Refrain "das ist nicht die Sonne, die untergeht, sondern die Erde, die sich dreht" genau in das Ende des echten Sonnenuntergangs, was eigentlich ein perfektes Ende bedeutete. Die Bands ließ sich aber nochmals zurück klatschen und spielte zum Abschied noch zusätzlich "Ein Satellit sendet leise".



Setliste:

Fünf Jahre nicht gesungen
Danke für die Angst
& Jay-Z singt uns ein Lied
Ich bin der Fahrer, der die Frauen nach HipHop-Videodrehs nach Hause fährt
Junkies und Scientologen
Was wird aus Hannover
Ich sang die ganze Zeit von dir (Tomte Song)

- Lesung aus: Sophia, der Tod und ich

Liebeslied (Die Toten Hosen Song)
Das Mädchen von Kasse 2
Avicii
Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf

48 Stunden (Kettcar Cover)
Die Schönheit der Chance (Tomte Song)

Ein Satellit sendet leise






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