Neulich beim Konzertmarathon (3): Nowhere Train, My Heart Belongs To Cecilia Winter und Slut im Wiener Flex
Das Wiener Flex besteht bereits seit den Achtziger Jahren. Der am Donaukanal in einen verlassenen U-Bahn-Schacht gebaute Club war die zweite Spielstätte des Waves Vienna, die wir aufsuchten, und der Kontrast zum Odeon hätte kaum größer sein können: Während es am Vorabend keinerlei Einlasskontrolle gegeben hatte (abgesehen vom Blick aufs Festivalbändchen natürlich), man aber dafür mit Gehörschutz und Programmheftchen versorgt worden war, gab es im Flex nichts dergleichen, dafür aber seitens der zahlreichen Security-Mitarbeiter einen intensiven Blick in die Taschen der Besucher.
Damit hatte ich nach der Erfahrung des Vorabends nicht gerechnet und hatte mir deshalb am Nachmittag noch zwei Gläser Marmelade der Luxusmarke Meinl gekauft - die nun prompt nicht mit hinein durften. Ich weiß nicht, ob es am generell harmlosen Ruf von Marmelade lag, am österreichischen Patriotismus (ich hatte nicht nur bei Meinl gekauft, sondern auch noch die sehr heimatverbundenen Sorten "Marille" und "Powidl" erworben) oder der betreffende Securitymensch einfach ein Marmeladenfreund war. Jedenfalls wurde mir angeboten, die Gläser für die Dauer meines Aufenthalts einzusperren, während einer Besucherin hinter mir, die irgendeine Flüssigkeit dabei hatte, und die zögerte, diese wegzuschütten, lediglich gesagt wurde, sie könne auch gerne draußen bleiben.
Innen entpuppte sich das Flex als kleiner als erwartet, und als (noch) ziemlich leer. Die erste Band des Abends Nowhere Train hatte aber ausreichend eigene Fans mitgebracht, so dass ihr schon bald nach unserem Eintreffen beginnender Auftritt dennoch von Beginn an bejubelt wurde. Die siebenköpfige, austro-amerikanische Folkband war mit all ihren Instrumenten (Banjo, Mandoline, Akkordeon, Kontrabass, Hawaiigitarre, 12 String Guitar, Bassdrum) kaum auf der recht kleinen Bühne unterzubringen. Optisch orientierte man sich an Mumford & Sons (Liam Gallagher würde sagen "an den Amish People"), musikalisch zeigte die gebotene Folkmusik aber deutliche Country-Einflüsse.
Bereits beim zweiten Lied (das erste war "Nowhere Train" gewesen, eine Art Theme Song also) wurde das Publikum aufgefordert, mitzuklatschen, beim dritten gab es eine Art Klatschchoreographie, später kam dann mit "Get Right Friends" noch ein A-Capella-Song, bei dem sich die Band am Bühnenrand aufreihte und das Publikum mitsingen durfte beziehungsweise sollte.
Wer mich ein bisschen kennt, weiß, dass ich meist die Flucht ergreife, wenn Mitklatschen oder gar Mitsingen eingefordert werden, und auch Folkmusik begeistert mich nur selten. Dennoch waren Nowhere Train eine sympathische und unterhaltsame Truppe, deren sichtbare Begeisterung für die eigene Musik sich mühelos aufs Publikum übertrug. Die Tatsache, dass fast jedes Bandmitglied in einem Song die Lead Vocals übernahm sorgte zusätzlich für Abwechslung.
Besonders lustig (auch für die Band) war die Situation, als an die letzte Zeile des Songs "With A Lot Of Love" spontan "I broke the fucking pedal" angefügt wurde - ab diesem Zeitpunkt war die Bass Drum nicht mehr mit von der Partie. Mit "Outrageous" durfte die Band am Ende sogar noch eine Zugabe geben.
Setliste:
Nowhere Train
Annabelle
Walking Man
Rules Of Engagament
To All My Demons
With A Lot Of Love
Black Air
Get Right Friends
Ashes
Outrageous
Der nächste Auftritt kam von My Heart Belongs To Cecilia Winter aus der Schweiz. Man könnte die einzelnen Bandmitglieder schon lange vor dem Auftritt beim Aufbau beobachten, und mein Begleiter stellte fest, dass der Sänger gar nicht so verrückt aussähe, wie man das sonst bei ihm gewöhnt sei. Er hätte sich keine Sorgen machen müssen, denn beim "echten" Konzertbeginn hatte er dann nicht nur eine Art Brille aus Glitzermakeup angelegt, sondern trug unterm T-Shirt auch eine Art Engelsflügel.
Witzigerweise begann auch diese Band ihr Konzert mit einem nach sich selbst benannten Song. Von den weiter hinten positionierten Bandmitgliedern (neben Schlagzeuger Kusi Gerber war dort auch ein wohl für die aktuelle Tournee engagierter Zusatzkeyboarder am Werk) konnte man dank der nun vorhandenen dichten Nebelschwaden auf der Bühne praktisch nichts sehen. Die Publikumsaufmerksamkeit konzentrierte sich folglich meist auf den verkleideten Thom Luz und Betty Fischer, beide sangen die meisten Lieder auch gemeinsam.
Thom erklärte gleich bei der Publikumsbegrüßung, dass sich mit dem Auftritt im Flex und der Positionierung vor dem Headliner Slut gleich zwei seiner Wünsche von der To-Do-Liste des Lebens erfüllt hätten - nun müsse er nur noch einen Baum pflanzen und wahre Liebe finden. Hierfür nehme er auch gerne Hilfe aus dem Publikum entgegen. Trotz der später mehrfach wiederholten Sympathiebekundung fürs Flex blieben die Publikumsreaktionen aber relativ verhalten. Wir hatten bereits seit Nowhere Trains Auftritt nahe bei der Bühne gestanden, vor uns wäre aber durchaus noch Platz gewesen. Trotzdem ging niemand an uns vorbei. Anscheinend waren wir also die größten anwesenden Fans von My Heart Belongs To Cecilia Winter. Traurig, weil ich die Band vorher eigentlich gar nicht richtig kannte.
Die Band hatte kein neues Album zu promoten und spielte Lieder aus den beiden bereits erschienenen "Our Love Will Cut Through Everything" und "Midnight Midnight". Bei "Airplane Window" kam eine Art Hackbrett zum Einsatz, während im Hintergrund Betty und Kusi an zwei Instrumenten spielten, die ich überhaupt nicht einordnen konnte. Es klang auf jeden Fall nach Glockenspiel, wirkte aber eher wie eine Pfeifenorgel ...
Nach diesem sehr schönen Song erklärte Thom, der besinnlich-traurige Teil des Abends sei nun beendet, jetzt komme der lustig fröhliche. Das geschah auch so und kulminierte schließlich bei "You You You" darin, dass Kusi mit nacktem Oberkörper und einer Umhängetrommel nach vorne kam - wo er natürlich kräftig auf die Trommel eindrosch - und Betty mit zwei Glöckchen wedelte. Kurz vorher hatte Thom bereits Silberschnitzel aus einer Art Kanone geschossen, wie ich sie bereits bei den Flaming Lips gesehen hatte.
Ein ebenfalls gelungener Auftritt. Mein Herz konnten sich My Heart Belongs To Cecilia Winter zwar noch nicht ganz erspielen, aber es hat Spaß gemacht, ihr Konzert zu besuchen.
Setliste:
My Heart Belongs To Cecilia Winter
Battle Scar
The Wind That Moves The Clouds
Future
Airplane Window
Never Ever Mountain
Eighteen
When The Devil Speaks My Name
Battle Cry
Objects In The Mirror Are Closer Than They Appear
You You You
Nun war es also Zeit für Slut, die nicht nur als einzige Band des Abends nicht von der uns mittlerweile vertrauten Stimme vom Band angekündigt wurden, sondern auch darauf verzichteten, ihr Set mit einem nach sich selbst benannten Song zu eröffnen (ich glaube auch nicht, dass sie ein Lied namens "Slut" haben).
Der Sänger Christian Neuburger erklärte gleich zu Beginn, die Band freue sich, beim Waves Vienna auftreten zu dürfen, denn gerade die Öffnung nach Osten (Teile des Festivals finden auch in Bratislava statt, und viele osteuropäische Gruppe treten auf) mache die Sache interessant. Außerdem habe man heute ihren Produzenten Tobias Siebert aus Berlin als Gitarrist dabei, denn ausgerechnet Sluts einziges österreichisches Mitglied weile aktuell in Thailand. Leider konnte ich per Webrecherche kein österreichisches Slut-Mitglied identifizieren, vermute aber, dass René Arbeithuber abwesend war.
Slut haben aktuell mit "Alienation" ein neues Album, das ihnen live anscheinend noch nicht so leicht von der Hand geht, denn "Anybody Have A Roadmap" musste zweimal begonnen werden, weil man am Anfang "nicht bis vier sondern bis sechs" zählen muss. Der wahrnehmbar guten Laune der Band schadete das aber nicht. Live konnte man die auch auf der Platte hörbaren Parallelen der Band zu Radiohead erkennen, denn zeitweise waren alle Bandmitglieder bei diesem Song mit trommeln beschäftigt, wie es die britische Band letztes Jahr auch bei "There There" getan hatte.
Tatsächlich wurden auch nur fünf Titel von "Alienation" gespielt, der Rest des Sets setzte sich aus älteren Titeln zusammen. Die Instrumente wurden dabei zwischen den Bandmitgliedern häufig gewechselt. Überrascht war ich, als beim vorletzten Lied, "Reminder", Christian Neuburger ganz verschwunden zu sein schien, aber immer noch hörbar sang. Tatsächlich spielte er nun im hinteren Teil der Bühne Keyboard, und dort war es auch jetzt noch sehr neblig. Zu dem Song wurde von Tobias Siebert auch eine riesige Rassel geschwungen, die ich ebenfalls nur schemenhaft erkennen konnte.
Mit "Holy End" (ebenfalls mit Neuburger am Keyboard) und den Worten "Sie waren ein sehr gutes und aufmerksames Publikum" endete passenderweise das Set, aber Slut kehrten anschließend für zwei Zugaben zurück. Die Ansage zur "Ballade von Mecki Messer" verriet uns, dass das Brecht-Projekt der Band nach wie vor sehr am Herzen liegt, anschließend wurde mit "Easy to Love" quasi der Tophit gespielt, nach dem seitens des Publikums auch bereits verlangt worden war. In einer kurzen Pause des Songs, in der die relative Stille im Publikum hörbar wurde, sagte Neuburger "So gefällt mir das!"
Uns auch, das Konzert hatte Spaß gemacht und eine Art Slut-Retrospektive geboten.
Setliste:
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