Nach dem Besuch des klar auf kleinere Bands orientierten Waves Vienna Festivals zeichnete sich ein Konzert der etablierten Editors in einer großen Halle als zu erwartender Stilbruch ab. Allerdings sollte der Auftritt im Gasometer stattfinden, einem Komplex aus vier alten, runden, nun, Gasometern eben, die Anfang dieses Jahrtausends unter erheblichem Aufwand zu Wohnungen, einem Einkaufscenter, einem Stundentenwohnheim und eben einer Konzerthalle umgestaltet wurden. Von außen wirkt der Komplex ästhetisch sehr ansprechend, also waren wir gespannt auf das Innenleben.
Unsere Erwartungen hinsichtlich einer angenehm gestalteten, gleichermaßen antiken wie modernen Konzerthalle wurden allerdings erst einmal gründlich enttäuscht: Der Vorraum der gerade einmal 12 Jahre alten Halle wirkte weder altmodisch noch modern, sondern einfach nur düster, zusammengewürfelt und schäbig. Wir hatten viel Zeit, darüber nachzudenken, denn scheinbar waren alle Zugänge zum eigentlichen Konzertraum noch verschlossen, ein Ordner stand jeweils davor. Erst nach ziemlich langer Wartezeit fiel uns auf, dass der Einlass in Wirklichkeit längst begonnen hatte, man allerdings nur zwei Seiteneingänge zur Halle nutzen konnte - worauf allerdings keiner der Ordner hinwies und was bei weitem nicht jeder bemerkte. Immerhin kamen wir noch rechtzeitig vor dem Auftrittsbeginn der Vorband Balthazar in den Raum und konnten uns auch noch relativ weit vorne Stehplätze sichern. Die Halle an sich entpuppte sich als nichtssagendes schwarzes Oval, das eine sehr breite Bühne hat, so dass auch die weiter hinten stehenden Zuschauer nicht allzu weit weg vom Geschehen sind.
Bei Balthazar teilen sich Maarten Devoldere und Jinte Deprez den Gesang und das Gitarrenspiel. Simon Casier (Bass) und Patricia Vanneste, die Violine und Keyboards bedient, unterstützen sie gelegentlich gesanglich. Christophe Claeys vervollständigt das Quintett aus Gent am Schlagzeug.
In ihrer Heimat sind Balthazar mittlerweile weit mehr als ein Geheimtipp und auch im restlichen Europa erspielen sie sich mehr und mehr Fans. Sie sind bis November im Vorprogramm der Editors unterwegs auf dem europäischen Festland.
Zu ihrem Auftritt im Gasometer fällt mir dennoch nicht allzu viel ein. An der Musik gab es im Grunde nichts auszusetzen, aber packen konnte sie mich auch nicht. Beim Publikum kamen Balthazar allerdings durchaus gut an, und gerade der letzte Song "Blood like wine", in dem wieder und wieder die Zeile "raise your glass" wiederholt wird, führte zu Mitgesang und gehobenen Plastikbechern. Offensichtlich wurden auch neue Fans gewonnen, denn auf dem Weg zurück ins Hotel konnten wir bei anderen U-Bahn-Fahrgästen mehrere neu erstandenen Vinyl-Exemplare von „Rats“, ihrem zweiten Album, erblicken.Zu begeistern war das Publikum also durchaus, vielleicht allzu leicht. In unserer Umgebung hatte sich beispielsweise eine Gruppe slowakischer Schüler eingefunden, die mit endloser Energie auf- und absprangen und "E-DII-TOORS" skandierten, während sie voneinander Handyfotos machten. Das war natürlich noch gar nichts im Vergleich zu ihrer Begeisterung, als Tom Smith & Co. tatsächlich die Bühne betraten und anfingen, "Sugar" zu spielen. Es wurde gehopst, getanzt, gefilmt, arhythmisch geklatscht, sich singend in den Armen gelegen, zwischendurch ge-Whatsapp-t ... Und ich fühlte mich mit einem Mal noch älter als sonst, weil ich doch einfach bloß zuhören und dabei ein bisschen auf- und abwippen wollte, ohne dass mir jemand ins Ohr brüllte, sang oder klatschte.
Die Band war übrigens komplett in Schwarz gekleidet. Es handelt sich um ihre erste Tour mit den beiden neuen Mitgliedern Justin Lockey und Elliott Williams. Der Schwerpunkt der Setliste lag mit 7 Titeln auf dem neuen Album „The Weight of your love“, alle anderen Platten wurden nahezu gleichrangig berücksichtigt und bunt durcheinander gewürfelt.
Auf der Bühne folgten "Someone says" und mit "Smokers outside the hospital doors" mein Lieblingslied der Band, aber es blieb schwierig, sich auf das Bühnengeschehen zu konzentrieren. Dabei war dort oben auch nicht wenig los, denn Tom Smith (mittlerweile dankenswerterweise wieder ohne Zopf) schnitt Grimassen, verrenkte sich, erklomm gelegentlich sein Klavier und Lautsprecher und, äh, sang natürlich.
All das klingt jetzt viel negativer als es gemeint ist, denn an und für sich liefern Editors ein sehr gut gespieltes wie gesungenes Konzert ab, das eine beachtliche Hitdichte aufwies. Nur wurde man davon immer wieder abgelenkt, etwa, wenn sich ein vielleicht Sechzehnjähriger erst durch die Menge vor uns kämpfte und ein bisschen abrockte, sich anschließend in einem Begeisterungsanfall sein soeben frisch gekauftes Editors-Shirt vom Leib riss, es auf die Bühne warf und mit nacktem Oberkörper dastand - um dann eine Viertelstunde später bei der Security darum zu betteln, das Shirt zurück zu bekommen.
Der Band ist in diesem Kontext nur vorzuwerfen, dass sie die nervige Klatscherei, die auch so an den unpassendsten Stellen und in den absurdesten Rhythmen stattfand, mehrfach ermutigte. "The Phone Book" wurde immerhin von Tom Smith allein, nur in Begleitung des Gitarristen dargeboten, was so vergleichsweise wenig Mitsingmöglichkeiten bot, "Racing Rats" sang er vorm Klavier aus, dafür konnte man dann bei "Honesty" eine Art Fußballgesang hören.
Danach war vorläufig Schluss, doch natürlich gab es auch einen Zugabenteil, der sich in seiner Konzentration aufs dritte Album "In this light and on this evening" als sehr synthesizerlastig erwies. Nach "Bricks and Mortar" und "Nothing" hörten wir eine unglaublich lange Version von "Papillon", das sich neben der im Hauptteil gespielten aktuellen Single "A ton of love" beim Publikum als der Tophit des Abends erwies.
Ende Oktober/Anfang November folgen übrigens noch fünf Deutschland-Konzerte, davon sind Hamburg, Berlin und Wiesbaden ausverkauft, Tickets gibt es noch für Leipzig und Köln.
Setliste:
Sugar
Someone says
Smokers outside the hospital doors
Bones
Eat raw meat = blood drool
Two hearted spider
You don't know love
All sparks
Formaldehyde
A ton of love
Like treasure
An end has a start
Bullets
In this light and on this evening
The phone book (acoustic)
Munich
The racing rats
Honesty
Bricks and mortar
Nothing
Papillon
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