Keine Aufnahmen! Phillip Boa And The Voodooclub im Koblenzer Café Hahn

by - April 06, 2019

Ich durfte diese Woche für meinen Arbeitgeber nach Barcelona reisen. Meine Idee, dass mein Freund doch fürs Wochenende nachkommen könnte (ein besuchenswertes Konzert hätte er sicher gefunden, das kann er ja gut), verlief leider im Sande, denn er verfügte bereits über Tickets für zwei Konzerte in der Heimat - hier der erste Bericht, zu Phillip Boa, den ich selbst übrigens nach wie vor noch nie live gesehen habe!


Nachdem ich Phillip Boa And The Voodooclub zwischen 1990 und 2000 regelmäßig und insgesamt neun Mal live gesehen hatte, haben wir uns irgendwie auseinandergelebt. Natürlich habe ich weiterhin fleißig und verlässlich alle seine Alben gekauft, aber auf Konzerte von ihm habe ich mehr als 10 Jahre verzichtet. Erst 2011, als er zu mir nach Koblenz kam, haben wir unsere gemeinsame Konzertserie wiederaufgenommen und gestern fand unser drittes Wiedersehen im Café Hahn (einmal fehlte ich entschuldigt) statt. Der Abend stand unter dem Motto "Songs from 'Earthly Powers' + Singles" und das bekamen wir auch.


Doch zunächst ging es mit der Vorband, oder vielmehr der Londoner Musikerin Vanessa Anne Redd los. Mit einer charmanten Mischung aus Deutsch und Englisch führte sie durch ihr kurzes Set, das bei den Boa-Fans in den ersten Reihen, die sie vermutlich bereits auf mehreren Konzerten gesehen hatten, für viel Applaus sorgte, bei den weiteren Besuchern aber offensichtlich wenig Anlass bot, die Gespräche einzustellen. Während Vanessa Anne Redd zunächst ein klassisches Singer/Songwriter-Lied darbot, dass mich an Protestsänger wie Bob Dylan oder Billy Bragg erinnerte, wurde im weiteren Verlauf des Sets auch kräftig auf der Gitarre geschrammelt, der Ausfall des Keyboards kompensiert und ein Song untermalt, indem sie die Gitarre mit Rassel und Bierflasche bearbeitete und kräftig mit dem Bein aufstampfte, da sich an diesem ein sehr kleiner Schellenkranz befand. Meine vor dem Konzert geäußerte Vermutung, dass Vanessa möglicherweise die aktuelle weibliche Stimme auf Boas Tournee sein könnte, wurde durch ihre Verabschiedung und eine knappe halbe Stunde später beim Bühnenauftritt vom Voodooclub bestätigt.


Neben der neuen Sängerin, die bei einzelnen Songs auch trommelte oder zur Gitarre griff, "Atlantic Claire" allein singen durfte und sich, wie übrigens auch Phillip Boa, mit einem Textheft behelfen musste, und einem neuen Gitarristen war ein über dem bekannten Bierfass am Schlagzeug befestigtes Backblech, dass die metallenen Klänge wohl noch verstärken sollte, eine weitere Neuerung auf der Bühne. Meine Hoffnung, dass noch Blechkuchen an die Fans verteilt werden würde, erfüllte sich nicht.

Dafür gab es auch vor der Bühne eine Neuerung: ein Absperrgitter und Securitys, die ein striktes Aufnahme-Verbot während des Konzertes konsequent einforderten und sofort zu den begeisterten Fans, die ein Foto machen wollten, hingingen und diese ermahnten. Für mich nervig, unverständlich und vollkommen überzogen. Erwachsene Menschen sollten doch selbst darüber entscheiden dürfen, ob sie von einer solchen Veranstaltung, für die sie über 40€ Eintritt bezahlt haben, Erinnerungsfotos oder -videos machen wollen. Es ist ja nicht so, dass Phillip Boa schlecht gealtert wäre, einen nicht gerade ansehnlichen Bierbauch hätte, unmöglich gekleidet gewesen wäre oder viel Unsinn geredet hätte. Ganz im Gegenteil, Boa war rank und schlank, der schwarze Anzug saß, die Sneaker von Puma waren schick, seine Frisur ist eben seine Frisur und mit uns kommuniziert wurde leider so gut wie gar nicht. Gelegentlich wurden Liedtitel angesagt - als ob wir diese nicht kennen würden!


Kommen wir als zum Wichtigsten, zu den Liedern. Laut Ankündigung sollten Songs vom neuen Album "Earthly Powers" gespielt werden und letztendlich waren es deren sieben. Die ruhigen "Dirty Raincoat Brigade" und "Drown My Heart in Moonshine" dienten vermutlich hauptsächlich dazu, dass Publikum und Band zwischen Klassikern wie "Get Terminated!", "Love On Sale" und "Annie Flies The Love Bomber" ein wenig verschnaufen konnte. Während wir "Nightclub Flasher" oder "The Wrong Generation" in den nächsten Jahren aufgrund des großartigen Backkatalogs bestimmt nicht mehr zu hören bekommen, wird "A Crown for the Wonderboy" sicherlich in den Kanon der live gespielten Lieblingslieder aufgenommen werden. Seine Position im ersten Zugabenblock vor Klassikern wie "I Dedicate My Soul to You", "Diana", "Container Love" und "And Then She Kissed Her" dürfte bereits darauf hinweisen.


Zudem wurden 17 Singles gespielt! Auffallend war dabei für mich, dass "Hair" gleich mit vier Liedern bedacht wurde und dass vier der Alben, die während meiner Boa-Konzert-Abstinenz erschienen waren, an diesem Abend von ihm ignoriert wurden. Während bei "Speed" ein von Sibylle Berg geschriebener, gesprochener Wortbeitrag in der Mitte des Songs im Vergleich zur Albumversion leider ausgelassen wurde, konnten Schlagzeuger und Bassist während "I Dedicate My Soul to You" zeigen, was in ihnen steckt. Wenn es den Anschein hat, dass ich hier viel meckere, dann ist dies vielleicht dem Grundton dieses Blogs geschuldet und definitiv Jammern auf hohem Niveau. Das Koblenzer Publikum war zu Recht euphorisch und begeistert und die ausgewählten Singles ließen im Grunde keine Wünsche offen.


Erst recht nicht, als die sechs Musiker zu einer zweiten Zugabe noch einmal auf der Bühne erschienen. Ich schlich mich aus der ersten Reihe und von den strengen Blicken der direkt neben mir stehenden Security nach hinten, um bei "This Is Michael" doch noch unerlaubt ein paar Fotos für diesen Blog zu machen. Vor dem abschließenden "Kill Your Ideals" richtete Phillip Boa dann tatsächlich nach einem Zwischenruf erstmals persönlichere Worte ans Publikum und erklärte, dass der Song in Zeiten wie diesen geschrieben worden sei und leider wieder so aktuell wie damals sei.

Setliste:

Bells of Sweetness
Fine Art in Silver
Loyalty
Get Terminated!
Dirty Raincoat Brigade
Til the Day We Are Both Forgotten
60's Black C
Love On Sale
The Wrong Generation
Drown My Heart in Moonshine
Standing Blinded on the Rooftops
Nightclub Flasher
Annie Flies the Love Bomber
Albert Is a Headbanger
Atlantic Claire
Cruising
Speed

A Crown for the Wonderboy
I Dedicate My Soul to You
Diana
Container Love
And Then She Kissed Her

This Is Michael
Kill Your Ideals




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