Elmo Katze, 28.03.2004 - 16.06.2022
An Fronleichnam ist meine Katze Elmo nach, wie man das bei Menschen wohl nennt, kurzer und schwerer Krankheit gestorben. Ich hoffe, dass die ihr anzumerkende, zunehmende Schwäche wirklich hauptsächlich Schwäche und nicht Schmerz war. Jetzt ist sie nicht mehr da und Kami eine Einzelkatze. Hier soll es aber um Elmos Leben gehen, und um ihre einzigartige Persönlichkeit.
Als wir uns das erste Mal trafen, war Elmo etwa neun Wochen alt und klettere mit ihren drei Geschwistern (darunter Kami) in einem Schuppen herum. Im Vergleich zu ihren Schwestern hatte sie ein merklich dickeres Fell, wie ein kleiner Eisbär. Ich wusste damals nicht, dass dieses Fell ein Hinweis darauf war, dass Elmo als Erwachsene deutlich plüschiger werden würde. Ebenso wenig war mir bewusst, dass komplett weiße Katzen als Babys meistens irgendwo kleine farbige Flecken aufweisen, die später verschwinden - ich ging davon aus, dass ich eine leicht puschelige Katze mit kleinen schwarzen Flecken adoptiert hatte, letztlich wurde sie eine weiße Halblanghaarkatze.
Als ich Elmo und Kami vier Wochen später abholte und gemeinsam in einem großen Transportkorb per Bahn nach Frankfurt transportierte, war es Kami, die regelmäßig maunzte, sich sichtlich unwohl fühlte und mich sogar durch das Korbgitter mit ihrer kleinen Pfote antippte um mitzuteilen, dass ein Fehler passiert sei und sie schnellstens wieder nach Hause müsste. Elmo saß, wie ich dachte, stoisch daneben, und da wir uns noch nicht kannten, hielt ich sie für ausgesprochen cool.
Dem war nicht so, aus späterer Perspektive hatte Elmo bei dieser Fahrt vermutlich bereits mit ihrem jungen Leben abgeschlossen. Sie war ein ausgesprochen ängstliches Kätzchen, das zu einer extrem furchtsamen Katze heran wuchs. Mir gegenüber wurde sie schnell zutraulich und ausgesprochen kuschelfreudig, doch bei Besuch war sie erst einmal verschwunden. Mehrfach bekam ich von Katzensittern, die die Katzen versorgten, während ich verreist war, die Rückmeldung, sie hätten bei ihren Besuchen nur eine Katze (Kami) zu sehen bekommen. Den Staubsauger empfand sie als tödliche Bedrohung, ebenso die Türklingel - das besserte sich erst, als im Alter ihr Gehör nachließ. Hinzu kam ihr Talent, scheinbar spurlos zu verschwinden. Oft habe ich sie verzweifelt gesucht, um sie dann doch noch zu finden - schlafend in meinem Bürorucksack, oder in der obersten weißen Hängematte vor der weißen Wand.
Was das lange, weiße Fell anging, sah dieses zwar großartig aus, saß aber ausgesprochen locker. Ich musste mich daran gewöhnen, dass alle meine Kleidungsstücke mehr oder weniger sichtbar vollgehaart wurden. An jedem Ort, den ich seit 2004 beruflich oder privat bereist habe, dürften sich einige Elmohaare befinden, die ich dorthin getragen habe. Irgendwo habe ich einmal gelesen, selbst auf dem Mond gebe es Katzenhaare - ich könnte mir gut vorstellen, dass Elmos dabei sind. Auch zwischen ihren Zehen hatte sie die für Langhaarkatzen typischen Fellpinsel, und wenn sie ihren Bauch putzte, sah es manchmal aus, als würde sie Zuckerwatte essen.
Auch wenn Elmo eher schüchtern war und auch selten und leise miaute (Ausnahme waren hier Tierarztbesuche, bei denen sie demonstrierte, dass sie durchaus viel mehr Tonlagen und Lautstärken beherrschte), war sie eine ausgesprochen gute und gnadenlose Jägerin. Als lebenslange Wohnungskatze hatte sie wenig Gelegenheit, sich in dieser Hinsicht auszuleben - um so beeindruckender ist es, dass sie dennoch zwei Meisen auf dem Gewissen hat. Ansonsten fing sie Insekten mit großer Geschicklichkeit und Effizienz - ich denke, die Vogelwelt kann froh sein, dass Elmo nicht mehr Chancen zum Freigang hatte. Dafür stellte sie ihr enormes Jagdtalent beim Spielen unter Beweis, wenn sie immer dann, wenn man sich in Sicherheit wiegte, mit einem Satz die Federn der Federangel erbeutete. Außerdem war sie sehr gut im Springen: Manchmal schien sie regelrecht "Projekte" zu haben, während denen sie lange planend vor einem bislang unerklommenen Punkt der Wohnung saß, bevor sie den Sprung komplett durchgerechnet hatte und dann durchführen konnte. Genauso gut war sie im Apportieren, das sie initiierte, indem sie einem eine Spielmaus vor die Füße legte, die man dann für sie werfen musste.
Ebenfalls große Freude machten ihr sowohl Taschen als auch Kartons. Jede Handtasche musste anprobiert werden, auch bei Besuchen der Mutter meines Freundes wurde deren Tasche inspiziert und bei Gefallen für ein kurzes Nickerchen benutzt. Kartons lieben ja sowieso fast alle Katzen, hier hatte Elmo den Ehrgeiz, sich mit einer drehenden Bewegung auch in die allerkleinsten zu quetschen und zu demonstrieren, dass diese sehr bequem seien. Gerne teilte sie auch Kartons mit ihrer Schwester Kami, ich habe Dutzende Fotos davon, wie die beiden aneinander gekuschelt schlafen.
Stichwort Fotos: Elmo durchlief auch eine kurze Modelkarriere: Sie zierte im Juni 2006 die Flyer der Regensburger Partyreihe Sublime, das zugehörige Poster hängt bei uns nach wie vor an der Wand. Wegen der suboptimalen Größe des von mir eingereichten Vorlagefotos erhielt sie zudem den Spitznamen "Pixelelmo".
Elmo war, wie Kami auch, nie eine sonderlich gute Esserin. Sie war allerdings eine große Freundin der kleinen goldenen Döschen von Gourmet Gold - hätten wir ihr diese öfters serviert (leider ist das Futter ziemlicher Mist), hätte sie vielleicht ein paar hundert Gramm mehr gewogen. Als Elmo wegen chronischer Verdauungsschwierigkeiten ab 2016 auf Diätfutter umgestellt wurde, war mit Gourmet Gold dann leider endgültig Schluss. Es verblieb ihre Leidenschaft für Leckerlis aus getrocknetem Huhn, die sie mit einer erstaunlich präzisen inneren Uhr allabendlich um 21 Uhr einforderte. Wenn sie nicht sofort serviert wurden, saß sie zunehmend vorwurfsvoll vor dem Sofa und machte kleine, tonlose Miauer, die wir (ich denke zurecht) als Fluchen interpretierten.
Mit meinem Freund konnte Elmo anfangs wenig anfangen, was sich auch nicht sofort änderte, als wir 2013 alle gemeinsam in ein Haus zogen. Elmo versteckte sich ohnehin in den ersten zwei Wochen in meinem Zimmer und traute sich nur abends, die neue Umgebung zu erforschen. Als sie sich eingewöhnt hatte, zeigte sie zwar keinerlei Angst vor meinem Freund, legte aber augenscheinlich auch keinen besonderen Wert auf seine Gesellschaft. Nach einem vollen Jahr im neuen Haus hatte er sich in ihren Augen aber dann doch als würdiges Familienmitglied erwiesen, ab diesem Zeitpunkt waren die beiden befreundet. Sie saß dann gerne abends beim Fernsehen auf seiner Brust und steckte ihm eine Pfote zwischen die Hemdknöpfe.
Auch sonst wurde Elmo in ihren späteren Lebensjahren selbstbewusster. Sie versteckte sich nicht mehr, wenn Besuch kam, und fand diesen sogar recht spannend. Selbst bei Wohnzimmerkonzerten traute sie sich manchmal ins Erdgeschoss, um nachzusehen, was los war. Und alle, die Elmo zu sehen bekamen (und Katzen mochten), fanden sie schön.
In Frankfurt hatte Elmo Zugang zum Balkon gehabt und das auch sehr gerne genutzt (eine der beiden Meisen fing sie hier). Im neuen Zuhause hatte sie keinen Balkon mehr, dafür saß sie gerne und viel an den bodentiefen Fenstern, kontrollierte die Umgebung und wurde auch von außen gesehen. Als mein Haushalt sich einmal an einer Aktion beteiligte, bei der in unserer Nachbarschaft Adventsfenster gestaltet wurden, kamen viele Anwohner, um unser Fenster anzusehen. Dabei hörte ich, wie ein Kind seinen Vater fragte "Haben das die Eltern von der Katze gemacht?" Damit war sicher Elmo gemeint...
Elmo blieb in den Worten meines Freundes ein "Mamakind", ich war in ihren Augen der wichtigste Mensch und ihre Ansprechpartnerin. In jungen Jahren lag sie gerne als Stola um meine Schultern, im Alter saß sie dann auch gerne wie ein Papagei auf nur einer. Jahrelang bin ich auch mit einer auf meiner Brust sitzenden Elmo eingeschlafen und wurde - leider - auch sehr gerne von ihr geweckt, wenn sie der Meinung war, jetzt hätte ich genug geschlafen. Dann schleckte sie einfach alle Körperteile ab, die unter der Bettdecke hervorschauten, was ein Ignorieren und Weiterschlafen extrem schwierig machte. Auch an meinen (aus Katzensicht sicher lachhaften) Yogaübungen nahm sie gerne teil und saß dann bei den liegenden Posen gerne auf mir, während ich versuchte, sie nicht allzu sehr zu stören. Sie hatte auch eine etwas merkwürdige Phase, in der sie morgens nach dem Aufstehen gerne und eifrig unsere Füße abschleckte.
Mit dem Aufkommen von beruflichen Videokonferenzen wurde Elmo auch sehr kamera-interessiert. Häufig dachte ich bei Beginn einer solchen Konferenz, sie schlafe tief und fest, aber sobald die Kamera an war, wollte sie doch auf meinem Schreibtisch herumlaufen oder am besten auf meine Schultern klettern - was je nach beruflichem Anlass ziemlich unpassend sein konnte.
Neben "Pixelelmo" war ein anderer Spitzname leider "Sorgenelmo": Erst war es die Ängstlichkeit, später eine Giardien-Infektion, auf die eine jahrelange Verdauungsstörung folgte, zuletzt zwei Bauchspeicheldrüsenentzündungen und am Ende ein (vermutetes) Lymphom: Irgendetwas war fast immer los, das Anlass bot, sich Sorgen um die Katze zu machen. Was nichts daran ändert, dass die allermeisten Erinnerungen an sie schön oder lustig sind.
Seit Mitte Juni haben wir nun also keine Elmo mehr. Mit etwas über 18 Jahren hat sie ein durchaus hohes Alter erreicht, aber ich hätte mich gefreut, wenn wir sie noch länger bei uns hätten haben können. Der Neffe meines Freundes meinte, als er erfuhr, dass Elmo gestorben sei "Aber sie gehörte doch zur Familie!". Das tat sie, und jetzt müssen wir wohl oder übel ohne sie zurecht kommen.
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