Gelesen: Oktober 2022
So richtig kann mich Spotify als Hörbuchplattform nicht überzeugen - zu schwierig ist es, sich einen Überblick über das Sortiment zu verschaffen, und zu beliebig das Angebot. Dennoch habe ich im Oktober noch etwas Schönes gefunden und angehört: Der Trafikant von Robert Seethaler, gelesen vom Autor selbst. Der Roman aus dem Jahr 2012 erzählt das Schicksal des siebzehnjährigen Franz Huchel, der im Jahr 1938 seine Heimat, das Salzkammergut, verlässt, um in Wien für einen Trafikanten, also einen Zeitschriften- und Tabakverkäufer, zu arbeiten.
Franz muss lernen, sich in der ihm fremden Großstadt zurecht zu finden, verliebt sich unglücklich in ein böhmisches Mädchen und findet in dem hochbetagten Sigmund Freund, der Stammkunde seines Arbeitgebers ist, einen etwas unwilligen Freund. Gleichzeitig wird er Zeuge des Niedergangs Österreichs im Nationalsozialismus und des "Anschlusses" ans Deutsche Reich.
Franz selbst ist weder gebildet noch - zunächst - politisch interessiert, erlebt aber, wie sein Arbeitgeber Otto Trsnjek vom Inhaber der benachbarten Metzgerei drangsaliert wird, weil er Juden bedient, was schließlich in einer Razzia und der Festnahme Trsnjeks - und dessen Tod - mündet.
Dem Roman gelingt es, Franz einerseits überzeugend als naiv darzustellen, sein Hinterfragen der Geschehnisse um ihn herum aber als nicht allzu widersprüchlich zu zeigen. Seine Gedankenwelt spiegelt sich vor allem in den Postkarten und Briefen an seine Mutter, die ihn als nicht gebildet, aber nachdenklich zeigen.
Obwohl ich natürlich schon diverse Bücher, Filme und Serien konsumiert habe, die sich mit der Nazizeit und deren Grausamkeiten befassen, schafft es Der Trafikant aus meiner Sicht sehr erfolgreich, die für die Zeit typische generelle Akzeptanz (oder gar Förderung) der Niederträchtigkeit im Alltag darzustellen.
Erst beim Lesen des zugehörigen Wikipedia-Eintrags erfuhr ich, dass der Roman schon 2018 verfilmt wurde, mit Bruno Ganz in einer seiner letzten Rollen als Sigmund Freud - der Film erhielt allerdings eher durchwachsene Kritiken, weshalb ich mich wohl nicht bemühen werde, ihn einmal zu sehen.
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