Neulich im Museum (4): Yoshitomo Nara in der Wiener Albertina Modern

by - August 27, 2023


Ich kann mich nicht erinnern, dass ich vor diesem Jahr jemals für eine Ausstellung ins Ausland gereist wäre - dieses Jahr habe ich das nun sogar schon zweimal getan! Anlass Nummer 1 war die einzigartige Vermeer-Ausstellung in Amsterdam, deren Besuch ich meinem Freund zu Weihnachten geschenkt hatte. Er war letztlich auch der Hauptgrund für die zweite Reise, denn seit ich ihn kenne, ist er ein großer Fan des japanischen Künstlers Yoshitomo Nara. Dieser ist mittlerweile recht bekannt, aber Ausstellungen seiner Werke dennoch eine Seltenheit (laut der Albertina handelt es sich um die erste größere Ausstellung in Europa seit über zehn Jahren). 

Warum also nach langer Zeit nicht einmal wieder ein paar Tage nach Wien fahren?

Fast überall in der Stadt sieht man aktuell das Ausstellungsplakat hängen, dennoch scheint die Werkschau kein riesiges Event zu sein: Vor unserer Anreise stellte ich nämlich überrascht fest, dass es keine sinnvolle Möglichkeit gab, den Ausstellungsbesuch im Voraus zu buchen, womit ich meine "mit einem speziellen Zeitfenster". Es ist nämlich durchaus möglich, online Tickets für die Albertina und die Albertina Modern zu erwerben, diese gelten dann aber jederzeit. Ich war also gespannt, ob es vor Ort Kassenschlangen oder Menschentrauben geben würde... zumindest Mitte August (die Ausstellung läuft seit Mai und noch bis zum 1. November) war das aber nicht der Fall - man konnte problemlos Eintrittskarten kaufen und dann sofort in die Ausstellung. Diese war für einen normalen Wochentag durchaus ganz gut besucht, aber keineswegs überfüllt.




Die Albertina zeigt Naras Werke chronologisch, von den Anfängen in den späten 1980er Jahren bis heute, in einer vom Künstler selbst zusammengestellten Hängung. Erklärende Texte erläutern die großen Einflüsse auf seine Arbeit. Zunächst wäre da Einsamkeit: Er verbrachte als Kind viel Zeit allein, und auch ein Studium an der Kunstakademie Düsseldorf zwischen 1988 und 1993 führte zu dem Gefühl, weit weg von daheim isoliert zu sein. Die Zeit in Düsseldorf und Deutschland (er blieb letztlich zwölf Jahre) führt auch dazu, dass manche in Bilder eingefügte Texte in deutscher Sprache sind.

Ein weiterer großer Einfluss ist die Musik - bereits als Kind begeisterte er sich für englischsprachige Country- und Rockmusik aus dem Radio, ohne, dass er deren Texte hätte verstehen können. Mit Hilfe der Plattencover versuchte er, dennoch die Songinhalte zu verstehen - beziehungsweise dachte sie sich aus.




Bekannt ist der Künstler allerdings vor allem für seine comic-artigen Zeichnungen von hauptsächlich Mädchen, den sogenannten "angry girls", die auf den ersten Blick niedlich wirken, aber oftmals wahlweise unglücklich oder auch bedrohlich sind - ausgestattet beispielsweise mit Waffen oder Vampirzähnen. Ungewöhnlich ist bei Nara neben den Bildthemen auch der Materialeinsatz, denn er malt und zeichnet auf allem, was er so findet, etwa Briefumschlägen, liniertem Papier, Papiertüten oder auch auseinander gefalteten Kartonpackungen. Die kleinsten Werke und Skizzen werden teils gesammelt in Vitrinen gezeigt. An großformatigen Werken mangelt es in der Ausstellung dagegen etwas.




Der Gesamteindruck der Arbeiten auf mich liegt häufig irgendwo zwischen traurig - viele Darstellungen zeugen inhaltlich von Depressionen und der für den Künstler lebensbestimmenden Einsamkeit - und lustig, denn nicht wenige Zeichnungen zeigen auch seinen Sinn für Humor - etwa wenn er eine sicherlich selbst erlebte Szene zu Papier bringt, in der eine ratlose Bankangestellte fragt "Yen, was für Geld soll das sein?"




Der letzte Raum der Ausstellung unterscheidet sich von den vorherigen. Offenbar durchlebte Nara seit der Katastrophe in Fukushima eine Schaffenskrise und hinterfragte den Sinn seines künstlerischen Werks. Er hat seitdem aber wieder angefangen zu arbeiten: Er realisiert nun auch Projekte mit Kindern und schafft in den letzten Jahren auch große Tonfiguren. 

Neben diesen neueren Werken enthält der letzte Raum auch ein kleines Haus, das beim Blick durch die Fenster gewissermaßen ein künstliches Atelier darstellt - man kann sich zwar vorstellen, wie Nara, umgeben von ihn inspirierenden Objekten  (Spielzeug, Bilder, CDs), in einem ähnlichen Zimmer arbeitet, letztlich handelt es sich aber um einen künstlichen Eindruck, der nur für das Ausstellungspublikum geschaffen wurde.




Während sich musikalisch in den gezeigten Bildern vor allem Texte der Ramones identifizieren lassen, enthält die ebenfalls von Nara selbst zusammengestellte Playliste zur Ausstellung (hier auf Spotify) Titel aus den 1960er Jahren von Musikern wie Donovan, The Byrds und Joni Mitchell.





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