Eigentlich war mein Freitagabend ganz anders verplant gewesen: Mein Freund hatte Gästelistenplätze für einen Auftritt von The Jesus and Mary Chain ergattert, aber eine andere Begleitung gefunden. Ich hatte mich auf einen gemütlichen Sofaabend mit den Katern eingestellt, musste diese aber letztlich enttäuschen: Als die Begleitung meines Freundes absagen musste, wollte ich ihn nämlich nicht allein zum Konzert schicken. Also ging es nach Arbeitsende (das an diesem Freitagabend zumindest recht früh erfolgt war) für uns recht zügig nach Köln.
Die Anreise inklusive Parkplatzsuche verlief relativ schnell, ebenso der Einlass in die Halle. Dort stellten wir uns recht nahe vor die Bühne, wo bereits eifrig aufgebaut wurde. Moment... sah das bei aufmerksamerem Hinsehen nicht eher nach Abbauen aus? Es war 19:37 Uhr, demnach sollte nach Plan die Vorband seit 7 Minuten auf der Bühne stehen. Aber der Eindruck war richtig: Die Vorband war nicht etwa ein wenig zu spät dran, sondern hatte wesentlich zu früh gespielt und war nun bereits fertig. Somit habe ich nun weiterhin keine Ahnung, wie Deathcrash klingen. Der Hauptact stand bereits kurz vor 20 Uhr auf der Bühne.
2015 habe ich The Jesus and Mary Chain das erste Mal live gesehen, seitdem weitere dreimal - davon zweimal mit ganzen Alben (2015 "Psychocandy" und 2022 "Darklands". Nun hat die Band ein neues Album veröffentlicht, "Glasgow Eyes" - es ist seit 2017 das erste.
Bezüglich des vor uns entstehenden Bühnenaufbaus blieb man klassisch: der vordere Bereich gehörte ausschließlich Jim Reid, hinten rechts bei den Verstärkern hatte sein Bruder William einen eigenen Bereich und hielt sich, so gut er konnte (und so gut das mit einer Robert Smith-Frisur geht), im Hintergrund. Die restlichen Bandmitglieder an Bass (Mark Crozer), Gitarre (Scott Von Ryper) und Schlagzeug (Justin Welch) fanden wenig Beachtung - auch wenn sie, anders als William Reid, Mikrophone zum Mitsingen hatten.
Wenn man sich Liam Gallagher in seiner typischen Konzert-Gesangshaltung ansieht, stellt sich manchmal die Frage, ob er nicht ständig Nackenschmerzen hat. Bei Jim Reid, der stets mit sehr langem, aufgerolltem Mikrophonkabel und leicht vorgebeugt singt, kommen einem ähnliche Gedanken: Mit 62 bekommt man so doch sicher Rückenschmerzen?
Auch das Publikum in Köln war, was nicht wirklich überraschte, eher fortgeschrittenen Alters, und dabei äußerst enthusiastisch. Jim Reid begrüßte uns nach dem ersten Lied und kündigte an, die Band werde einige Sachen vom neuen Album spielen, aber auch ältere Songs - vielleicht hätten einige der Anwesenden ja "Glasgow Eyes" bereits gekauft. Auf zustimmende Rufe aus dem Publikum reagierte er allerdings ungläubig.
Im Laufe des Abends wurden insgesamt fünf Lieder von "Glasgow Eyes" gespielt, besonders beeindruckend waren der Band-Trennungssong "Jamcod" und "Venal Joy". Gegenüber früheren besuchten Auftritten variierte die Setliste, so dass wir auch "Sidewalking" von "Barbed Wire Kisses" zum ersten Mal live hörten. Nur "Taste of Cindy" haben wir bislang bei jedem besuchten Auftritt der Band zu hören bekommen.
Die Live Music Hall wurde an diesem warmen Frühlingsabend schnell überaus heiß, und auch auf der Bühne konnte man trotz aufgestellter Ventilatoren Schweißtropfen erkennen. Der für The Jesus and Mary Chain so typische verhüllende Nebel fand nur zu Beginn des Auftritts Einsatz.
Im Publikum bildete sich schon recht schnell ein kleiner, immer mehr anwachsender Moshpit, in dem ausgelassen getanzt wurde. Als Jim Reid den letzten Song ankündigte, gab es nicht nur von dort laute Protestrufe. Reid lenkte sofort ein: Es müsse ja nicht zwingend das letzte Lied sein, wenn wir es nicht so wollten.
Mein Freund hatte die Berichterstattung über die bisherigen Tourstationen aufmerksam verfolgt und wusste deshalb, dass an dieser Stelle des Programms häufig das Duett "Sometimes Always" gespielt wird, und zwar mit Gastsängerin - in Stockholm konnte man sich beispielsweise das Mitwirken von Nina Persson sichern. Für Köln hatte man aber offenbar keine geeignete lokale Berühmtheit sichern können (uns war außer Suzie Kerstgens von Klee auch niemand eingefallen), so blieb Reid allein, ließ den Song aus und beendete den Hauptteil mit "Just Like Honey".
Köln jubelte wie verabredet, und so stand die Band sehr schnell wieder auf der Bühne, um weitere vier Songs zu spielen. Das Finale bildete eine sehr lange, so von uns noch nie gehörte Version von "Reverence". Nach meinem Eindruck erlebten wir eine für die eigenen Verhältnisse beinahe ausgelassene Band, die sich sichtlich über den lauten Applaus der Kölner freute. William Reid ging am Ende sogar an den Bühnenrand und verteilte Setlisten und Plektrums.
Setliste:
Happy When It Rains
Head On
Far Gone and Out
All Things Pass
Chemical Animal
The Eagles and the Beatles
Amputation
Cracking Up
Some Candy Talking
In a Hole
Sidewalking
Pure Poor
Blues From a Gun
Nine Million Rainy Days
Venal Joy
I Love Rock 'n' Roll
Just Like Honey
Darklands
Taste of Cindy
I Hate Rock 'n' Roll
Reverence
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