Conversations with... (2): Nick Cave im Wiesbadener Kurhaus

by - Januar 28, 2020


Schon im letzten Jahr war Nick Cave mit dem Tourformat "Conversations with Nick Cave" unterwegs, allerdings gab es keinen Termin in meiner Nähe. Als für dieses Jahr weitere Auftritte angekündigte, kümmerten mein Freund und ich uns um Tickets für den Auftritt im opulenten Wiesbadener Kurhaus - leider aber nicht schnell genug, denn wir saßen letztlich recht weit hinten.

Von Anfang an war klar, dass dieses Konzert deutlich anders werden würde als das zuletzt erlebte in Frankfurt: Cave spielt zwar auch Songs - allein, am Flügel - aber der eigentliche Blickpunkt liegt eben auf den "Conversations". Dabei bezieht er, anders als Amanda Palmer, deren ebenfalls sehr redelastigen Auftritt wir Ende des letzten Jahres gesehen hatten, die Themen zu 100 Prozent aus dem Publikum, es handelte sich quasi um einer dreistündige Q&A-Session. Besonders oft wurde vielleicht schon die Frage gestellt, warum er diese Art Auftritt überhaupt macht, denn die Antwort auf diese fanden alle Besucher auf einer Postkarte auf ihrem Sitz vor:

"This is something that I am in the process of discovering. I am acting on an intuition that something of value can be gained from an open and honest dialogue with my audience. I want to bring the whole thing back to something raw and naked and essential. In this respect, these events feel like reckless experiments – there is no safety net – and are, one some level, beyond my control. They are freewheeling adventures in intimacy where anything can happen. I hope that this further deepens the connection I feel with my audience. These events are works in progress!"


Was ich vermutlich als einzige Anwesende vorab nicht gewusst hatte: Im Netz macht Cave seit einer Weile genau dasselbe, unter The Red Hand Files kann ihm jeder oder jede eine Frage stellen und auf deren Beantwortung hoffen. Die Conversations-Tour ist also quasi das zugehörige Live-Event.

Als Cave die Bühne zu großem Applaus betrat, erklärte er zunächst die Spielregeln: Zahlreiche Ordner mit Blinklichtern standen bereit, um Fragesteller zu identifizieren und mit Mikrophonen auszustatten. Der Rest des Publikums wurde gebeten, die Fragen der anderen mit Respekt zu behandeln, es sei schließlich schwierig genug, vor einer so großen Menschenmenge zu sprechen, außerdem wolle er weder, dass Fotos gemacht würden noch Tonaufnahmen. Schnell warf er sich noch in einige Posen, um denen, die unbedingt wollten, für exakt 30 Sekunden ein paar Fotos zu ermöglichen.

Dann ging es auch schon los mit den Fragen aus dem Publikum. Vorab hatte ich mich gefragt, wie es wohl werden würde, falls die Fragen ausgingen, vor Ort zeigte sich schnell, dass es, wenn überhaupt, zu viele Fragesteller gab. Die Themen der Fragen variierten enorm, und Cave war sichtlich bemüht, allen gerecht zu werden und jeweils aufrichtig zu antworten. Gleich zu Anfang hatte ein Besucher, der schon mehrmals dabei gewesen war, wissen wollen, ob Cave sich im Nachhinein  manchmal wünschen würde, etwas anderes geantwortet zu haben, und er antworte, das sei selbstverständlich so - er bemühe sich um gute Antworten, aber natürlich falle ihm oft im Nachhinein auf, dass es eine bessere gegeben hätte.


Viele Fragen drehten sich um Künstler, die Cave kennt oder kannte, etwa mehrmals um Leonard Cohen, PJ Harvey, Blixa Bargeld, Henry Rolling und Shane McGowen. Tendenziell fand ich solche Fragen zwar verständlich, aber etwas doof (Wie er beispielsweise zu seiner Exfreundin PJ Harvey steht, ist doch nun wirklich seine Privatsache), aber vielleicht hatte ich Unrecht, denn die Antworten waren meist interessant und lustig. So erfuhren wir, dass er mit Henry Rollins zwar sehr eng befreundet gewesen sei, aber das jeweilige Interesse am Gewichtheben beziehungsweise Alkohol und Drogen doch sehr unterschiedlich gewesen sei - so dass eben in der einen Ecke das eine und in der anderen das andere stattgefunden habe. Interessant war auch seine Antwort bezüglich Blixa Bargeld, der mit seinen sehr entschlossenen Kommentaren zu neuen Songs (mit deutsch-akzentiger, tiefer Stimme zitiert: "This is good!"- "This is shit!") ein wichtiger Pfeiler der Bad Seeds gewesen sei, ohne den auszukommen erst einmal nicht einfach gewesen sei. An Blixa habe er zum letzten Geburtstag eine Mail geschrieben, die aber unbeantwortet geblieben sei - vielleicht sei aber auch die Adresse nicht mehr aktuell gewesen.

Nachdem bereits einige Fragen vergangen waren, ergänzte Cave noch eine weitere Regel, nämlich die, dass wir bitte nicht nach jeder Antwort klatschen sollten, denn es sei natürlich, dass auf diese Weise der Applaus im Laufe des Abends abnehmen würde, und das wiederum mache ihn dann nervös.


Zum Glück gab es aber ja auch Lieder, die selbtverständlich mit Applaus gewürdigt werden durften. Ich hatte die Setlisten vorausgegangener Auftritte gesehen, wobei Cave bei manchen Songs auch recht spontan beschloss, dass sie zum gerade angesprochenen Thema passten: "Into Your Arms" und "Lime Tree Arbour" waren direkte Songwünsche aus dem Publikum, das Cohen-Cover "Avalanche" ergab sich aus einer der Cohen-Fragen, die sehr schöne akustische Version von "Papa Won't Leave You Henry" war eine Erklärung zu der Frage, welche Musik er denn seinen Kindern vorgespielt habe, als sie klein waren. Zu "Cosmic Dancer" von T-Rex erklärte, dies sei der beste Song aller Zeiten und Marc Bolan ein unglaublich unterschätzter Songwriter.

Neben den Fragen nach musikalischen Einflüssen - Cave erwähnte übrigens unaufgefordert Elvis und Kanye West - gab es auch mehrerer zu Religion und Glauben und auch zu Caves eigenem kreativen Prozess. Manche Fragestellern wandten sich auch mit (in meinen Augen allzu) persönlichen Themen an ihr Idol, etwa, wie man seinem Kind erklären könnte, dass man unter einer schweren Krankheit leide und bald sterben könne. Es waren auch erstaunlich viele Australier anwesend, unter den Fragestellern waren mindestens vier. Caves eigenen australischen Akzent hörte ich an diesem Abend zum ersten Mal - ich hatte ihn sicher auch vorher noch nie so lange sprechen gehört. Manche Fragen erforderten allerdings auch keine lange Antwort: Die Antwort auf die kuriose Frage, ob er jemals erwägt hätte, Mönch zu werden, war ein schliechtes und entschiedenes "No."

Nicht unerwähnt konnte natürlich das Thema bleiben, das Cave sicherlich ohnehin am meisten beschäftigt: Der Tod seines Sohnes Arthur im Alter von nur 15 Jahren vor fünf Jahren. Cave sprach sehr ehrlich und berührend darüber, dass er nun fühle, er habe absolut nichts mehr zu verlieren, was in gewisser Hinsicht befreiend sei. Auch denke er, dass er heute aufrichtiger und ehrlicher lebe, dass der Tod seines Sohnes sein Leben also in diesem Aspekt verbessert habe - was natürlich nicht bedeuten solle, dass er diesen Zustand nicht jederzeit gegen eine Version seines Lebens tauschen würde, in der Arthur nicht gestorben sei.


Lustig war dagegen Caves Antwort auf die Frage, was er eigentlich mit all den Geschenken mache, die er im Laufe seiner Karriere erhalten habe. Er erklärte, er habe alles aufgehoben, und vieles sei in der Ausstellung enthalten, die bald in Kopenhagen gezeigt wird. Allerdings bekomme er auch häufig selbst gemalte Porträts "von unterschiedlicher Qualität" geschenkt, und diese hänge er immer in den von ihm bewohnten Hotelzimmern auf und lasse sie dort hängen, wenn er abreise.

Gegen Ende des Abends wurde Cave anscheinend bewusst, dass er im Vergleich zu anderen Abenden relativ wenig Musik gemacht hatte, und so wurde die Songdichte etwas größer, auch die Zugabe bestand einfach aus zwei Songs, ohne dass weitere Fragen angenommen worden wären. Die Setliste berücksichtigte dabei alle Schaffensphasen des Musikers: Von The Birthday Party über das Nebenprojekt Grinderman bis hin zum letzten Nick Cave-Album "Ghosteen" war alles dabei.

Mir gefiel der Abend ausgesprochen gut. Nick Cave ist ganz zweifellos ein intelligenter, reflektierter, belesener und auch sehr humorvoller Mensch, und man merkte seinen Antworten an, dass er sich wirklich bemühte, aufrichtig und ehrlich zu reagieren. Hinzu kamen noch die akustischen Versionen seiner Lieder, die gerade bei sonst ganz anders gehörten Liedern wie "The Mercy Seat", ebenfalls ein echter Genuss waren.

Setliste:

God Is in the House
The Weeping Song
Shiver (The Birthday Party song)
Avalanche (Leonard Cohen cover)
Jubilee Street
Sad Waters
Into My Arms
Papa Won't Leave You Henry
Waiting for You
The Mercy Seat
Palaces of Montezuma (Grinderman song)
Lime Tree Arbour
Cosmic Dancer (T. Rex cover)
Stranger Than Kindness
Ship Song

Love Letter
Skeleton Tree

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