Gelesen: Dezember 2020

by - Januar 20, 2021

 

Da war doch was? Ja, ich habe tatsächlich immer noch keinen Rückblick auf den Dezember letzten Jahres abgeliefert. Keine Ahnung, wie meine Leser:innen angesichts dieser Verspätung in den letzten Wochen schlafen konnten. Aber jetzt arbeite ich nach!

Im Dezember hörte ich mal wieder ein Hörbuch, und zwar The Midnight Library von Matt Haig. Auf das Buch war ich gekommen, weil es auf der Plattform Goodreads, auf der ich seit etlichen Jahren meine Bücher und Lesefortschritte festhalte, in der Kategorie "Fiction" von den Nutzern zum besten Buch des Jahres 2020 gewählt wurde. Die Inhaltsangabe las sich ebenfalls interessant:

Somewhere out beyond the edge of the universe there is a library that contains an infinite number of books, each one the story of another reality. One tells the story of your life as it is, along with another book for the other life you could have lived if you had made a different choice at any point in your life. While we all wonder how our lives might have been, what if you had the chance to go to the library and see for yourself? Would any of these other lives truly be better?

Als grüblerische Person, die sich selbst gerne einmal fragt, was wohl gewesen wäre, wenn sie die eine oder andere Entscheidung anders getroffen hätte, zog mich diese Beschreibung an. Die Protagonistin der Geschichte, Nora, wird allerdings von weit mehr geplagt als Neugier, inwiefern ihr Leben hätte anders verlaufen können: Sie begeht zu Beginn der Geschichte einen Selbstmordversuch, aber statt zu sterben, landet sie zunächst in der titelgebenden Bibliothek und bekommt die Chance, in eine unendliche Zahl möglicher Leben einzutauchen, und, wenn sie eines findet, das sie leben möchte, einfach für immer darin zu bleiben.

Nora hat in ihrem Leben bereits viele interessante Chancen ausgeschlagen, was sie im Nachhinein bedauert, und so taucht sie in sehr unterschiedliche Lebensentwürfe ein. Sie landet dabei immer in einer alternativen Gegenwart: Viele der anders getroffenen Entscheidungen liegen also bereits in ferner Vergangenheit, und sie erhält beim Wechsel in diese Lebensversionen nicht das Wissen oder die Ausbildungen, die ihre Parallel-Ichs gegebenenfalls absolviert haben. Nora landet so abrupt in einem Leben, in dem sie mit ihrem Verlobten (den sie in der Realität verlassen hatte) wie geplant einen Pub auf dem Land gekauft hatte, dann erfährt sie, was passiert wäre, wenn sie mit ihrer besten Freundin nach Australien ausgewandert wäre, wenn sie ihr Schwimmtraining konsequent weiter verfolgt hätte, wenn sie aus der Band ihres Bruders nicht ausgestiegen wäre (sie wäre ein Popstar geworden) und wenn sie ihren Kindheitstraum umgesetzt hätte, Gletscherforscherin zu werden... und vieles mehr.

Wenn sich ein Roman mit Depressionen und Selbstmord(-versuchen) beschäftigt, kann man normalerweise erwarten, dass mit diesem Thema sensibel umgegangen wird, und so überrascht es nicht, dass Nora beim "Anprobieren" all ihrer alternativen Leben feststellt, dass sie gute Gründe hatte, sich gegen diese Dinge zu entscheiden. Außerdem erkennt sie angesichts der Alternativen mehr und mehr, dass auch ihr echtes, ihr zunächst so erfolglos und nichtig erscheinendes Leben, einige andere Menschen positiv beeinflusst hat.

Die Grundidee des Romans gefiel mir wie erwähnt sehr gut, und es machte auch Spaß, gemeinsam mit Nora ihre jeweiligen Alternativleben zu erforschen. Mit der Zeit wurde mir das allerdings etwas langweilig, denn es wurde recht schnell klar, dass die "Antwort" der Geschichte nicht ein perfektes Leben sein würde, das Nora auf diesem Weg finden würde - denn welche Botschaft wäre das gegenüber potenziell ebenfalls depressiven Lesern, die keinen Zugriff auf die imaginäre Bibliothek hätten?

Was mich dann wieder versöhnte, waren die letzten Kapitel der Geschichte, in denen Nora keineswegs ein nun dank ihrer neuen Erkenntnisse perfektes Leben führt: Sie hat lediglich den Mut gefunden, überhaupt zu leben (wie genau das passiert, verrate ich hier natürlich nicht).

Insgesamt ein in meinen Augen sicherlich interessantes und lesenswertes Buch, aber nicht der Roman des Jahres.

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