Neulich nach der Auszeit: Maifeld Derby 2021, Tag 1

by - September 10, 2021


Vor etwa zwei Monaten begann mein Freund seine haushaltsinterne Werbekampagne fürs Maifeld Derby 2021. Seit dessen Beginn 2011 hatten wir das kleine, sympathische Festival in Mannheim zunächst treu jedes Jahr besucht, dann mogelten sich andere Veranstaltungen (etwa das Best Kept Secret in den Niederlanden und A Summer's Tale in Norddeutschland) in den Vordergrund, da hier die konkreten Lineups für uns attraktiver und das Umfeld (noch) schöner waren. So hatten wir am Maifeld Derby nun schon seit 2015 nicht mehr teilgenommen. Für 2020 hatte man seitens der Organisatoren ohnehin eine Pause eingeplant, um dann 2021 zum zehnten Jubiläum ganz groß zurückzukehren. Dieser Plan stammte natürlich aus der Vor-Corona-Zeit, und selbst ohne Pandemie musste man zunächst alte Schulden tilgen und veranstaltete deshalb erst eine Crowdfunding-Kampagne, um eine weitere Auflage des Festivals auf finanziell solide Füße zu stellen.

Diese wurde dann - nach Verschiebung des ursprünglich geplanten Termins - ausnahmsweise für den Herbst angekündigt (normalerweise war der Name "Maifeld" durchaus Programm gewesen). Natürlich ist mir bewusst, dass es Musiker wie Organisatoren in den letzten eineinhalb Jahren nicht leicht gehabt haben und dass man sie unterstützen sollte, wo man kann - das allein hätte mich aber sicherlich nicht motiviert, dieses Maifeld Derby zu besuchen. Nach einem Festival-losen Jahr in der Pandemie erschien mir die Idee, mit vielen, vielen anderen Menschen auf engem Raum (wenn auch draußen) Musik zu hören, geradezu absurd, hinzu kam der Septembertermin, zu dem man mit Regen und Kälte rechnen musste. Zuletzt konnte ich mich auch nicht wirklich fürs Lineup erwärmen - dann also lieber ein Wochenende auf der Couch.



Das andere Mitglied meines Hauhalts sah das alles ganz anders, und schließlich ließ ich mich erweichen: Große Lust hatte ich zwar immer noch nicht, aber letztlich waren Wochenenden auf der Couch in den letzten beiden Jahren eher die Regel als die Ausnahme gewesen, und es würde mich also nicht umbringen, einfach mitzugehen. Die Wettervorhersage quittierte meine großmütige Entscheidung mit einer überraschenden Rückkehr des Sommers, für das gesamte Wochenende war eine Temperatur von 27 Grad gemeldet.

Freitags beendete ich meine Home Office-Tätigkeit extra früh, und mein Freund und ich begaben und in den etwas zähen Feierabendverkehr Richtung Mannheim. Bei der Einlasskontrolle gab es wieder  - wie wir es in der letzten Zeit auch bei Konzerten erlebt hatten - eine ganze Reihe Unterlagen vorzuzeigen: Eintrittskarte, Impfnachweis und Ausweis, um sicher zu stellen, dass die Namen auf allen drei Dokumenten identisch waren. Noch dazu war der Check-in per Luca-App zu erledigen.



Das Maifeld Derby hatte, um Corona-konform zu werden, seine sonst vier Bühnen auf zwei zusammengestrichen, somit fanden alle Konzerte unter freiem Himmel statt. Der ehemalige Parcous d'Amour, eine kleine Bühne im Reitstadion des Geländes, wuchs für dieses Jahr zur Palastbühne an, indem  der komplette Innenraum bestuhlt wurde und die Zuschauertribüne (von der für den kleinen Parcours d'Amour mit seinen meist akustischen Konzerten immer nur ein kleiner Teil genutzt worden war) ebenfalls gänzlich zugänglich gemacht wurde. 

Zusätzlich gab es den neu erfundenen "Biergarten d'Amour" eine kleinere Open Air Bühne, vor der Bierbänke aufgestellt worden waren. Neben den 3G-Regeln für den Zugang zum Gelände sollten weitere Vorkehrungen das Festival Corona-sicher machen: Bei allen Wegen auf dem Gelände sollten Masken getragen werden, an mehreren Stellen standen Desinfektionsmittel-Spender. Zwischen unterschiedlichen Besuchergruppen vor der Palastbühne sollten jeweils zwei Sitzplätze freigehalten werden, auf der Tribüne durfte zusätzlich auch nur jede zweite Sitzreihe benutzt werden. Auch für die Bierbänke im Biergarten D'Amour war vorgesehen, dass sie immer nur von einer Besuchergruppe gleichzeitig genutzt werden sollten.



Dennoch, trotz aller Maßnahmen erschien das Maifeld Derby im Wesentlichen als ein ganz normales Festival, was über eineinhalb Jahre nach Pandemiebeginn einigermaßen surreal wirkte: Viele Menschen! Musiker! Fressstände! Seifenblasen! Betrunkene! Wirklich sehr viele Menschen!

Aus objektiver Perspektive musste man zugeben, dass das Lineup verglichen mit früheren Jahren deutlich abgespeckt wirkte: Große Namen der Vergangenheit wie Editors, The National, Hot Chip oder Mogwai waren im Lineup nicht zu finden, dafür hatte neben Corona und der unsicheren Planungsperspektive (erst drei Wochen vorher war das Festival endgültig genehmigt worden) sicher auch der Brexit mitgesorgt. Bands mit deutscher oder Deutschland-naher Herkunft (Österreich, Niederlande, Schweiz, Skandinavien) dominierten deutlich.



Dank des Feierabends hatte mein Freund bei unserer Ankunft bereits zwei Musikacts verpasst, die er eigentlich gerne gesehen hätte: Edwin Rosen und Sofia Portanet. Kurz vor 19 Uhr erreichten wir schließlich erstmalig die Palastbühne, wo gerade Cari Cari aus Österreich ihr Set begannen. Das Duo besteht aus der Schlagzeugerin und Sängerin Stephanie Widmer und dem Gitarristen und Sänger Alexander Köck. Von dem Musikstil des Duos hatte ich vor Beginn ihres Sets keine Vorstellung und dachte mir noch, als ich einige Reihen vor uns einen älteren Herren mit langem weißen Bart und Lederhut entdeckte, dieser sei wohl eher bei der falschen Veranstaltung. Falsch gedacht: Cari Cari machen nach eigenen Angaben Musik, von der sie sich wünschen, dass sie irgendwann in einem Tarantino-Film vorkommt. Als allererstes wurde ein Didgeridoo gezückt (von Stephanie, die im Laufe des Sets auch Keyboard, Maultrommel und Flöte spielte, sowie rasselte), es wurde häufig sehr blues-ig und dem Herrn mit dem Lederhut gefiel das alles deutlich besser als mir - wobei die Band insgesamt gut ankam, das muss ich zugeben. 



Das einzige mir bekannte Lied auf der Setliste war eine Coverversion, "Sabotage" von den Beastie Boys, wobei ich hier auch erwähnen muss, dass mir das Original 1000mal besser gefällt. Das Konzert endete mit dem Song "Mapache", dessen Titel das Publikum am Ende begeistert mitrief - "1-2-3-MAPACHE"! Demnächst dann in einem Tarantino-Film in Ihrem Kino...



Wir wandelten im Anschluss zum Biergarten d'Amour, wo nun Alex Mayr auftreten sollte. Die Pop-Akademie-Absolventin hatte ich zum ersten (und zweiten) Mal beim A Summer's Tale Festival gesehen, wo sie bei Get Well Soon die Gesangsparts von der fehlenden Verena Gropper übernahm. Gemeinsam mit Konstantin Gropper hörte ich sie zuletzt auf dem Soundtrack des Netflix-Films Wir können nicht anders. 

Die Musikerin hat dieses Jahr mit "Park" bereits ihr zweites Album veröffentlicht, ein Konzeptalbum, das sich, man kann es sich denken, um einen Besuch im Park dreht. Zu Beginn hagelte es gleich mehrere Durchsagen: Auf eine Bandaufnahme, die die grundsätzlichen Regeln des Festivals erläuterte (und somit nichts mit dem Auftritt zu tun hatte), folgte erst eine weitere männliche Stimme, die zu einer Art Meditation im Freien einlud, dann wurden einige Zeilen des Liedes "Alle" rezitiert. Dann erst erschien Frau Mayr, barfuß und im Kimono, und begleitet von zwei Musikern, auf der Bühne.

Mein Freund hatte mir bereits vorher erklärt, dass Mayr das Album komplett - oder nahezu komplett - spielen würde. Allerdings vergaß die Künstlerin in der Aufregung zunächst den Song "Margaritas", so dass dieser später nachgeholt werden musste - unter kräftigem Einsatz des Publikums, das die auf Platte von einem Chor gesungenen "Lululu"s übernahm.



Zu "Krocket" erfuhren wir, dass sie in dem Lied eine Kindheitserinnerung (an eben jenes Spiel) besingt, der Song "Statue" dreht sich konkret um die Skulptur "Die Haarwaschende" im Mannheimer Luisenpark - und "Geisterbahn" schließlich wurde von Stephen Kings Roman Joyland inspriert (was mich zunächst an Thees Uhlmanns ebenfalls für King gedichtetes "Danke für die Angst" denken ließ und dann in mir die Frage auslöste, wie lang wohl eine Playliste von Stephen King-inspirierten Songs wäre). 

Dadurch, dass Mayr als Popakademie-Absolventin quasi eine Mannheimerin ist und erst kürzlich eine ausverkaufte Release-Party für ihr Album im Luisenpark gefeiert hatte, hatten wir eigentlich mir mehr Publikum gerechnet - der Platz im Biergarten war zwar durchaus gefüllt, aber nicht überfüllt.

Die im Vergleich zur Platte reduziert dargebotenen Songs gefielen mir gut, zumal Alex Mayr insgesamt einen sehr sympathischen Eindruck machte. Den abwesenden Rapper Maeckes, der eigentlich in "Ausgang" zu hören ist, spielte sie mit den Worten "Maeckes ruft an!" als Aufnahme ein.

Setliste:

Eingang 
Alle 
Zeit 
Krocket
Statue 
Margaritas
Geisterbahn
Ohrfeige 
Ausgang 


Wir wanderten nun zurück zur Palastbühne und sahen hier das letzte Viertel des Auftritts von Molchat Doma, einer Band aus Belarus. Dieses Mal waren wir auf die Zuschauertribüne gegangen, von der aus man zwar einen angenehmen Überblick über das Geschehen hatte - der Innenraum war sehr voll und die Musik wurde regelrecht abgefeiert - was genau auf der Bühne geschah, konnte man aber nur schemenhaft wahrnehmen. Musikalisch hörten wir Klänge, die mich an The Cure und New Order denken ließen, mit einem starken Retro-Toch, der meinen Freund gar befürchten ließ, wir seien versehentlich durch die Zeit gereist. 

Vielleicht waren wir aus ungeklärten Gründen plötzlich bei einem Festival im Ostblock Anno 1982 gelandet? Das hätte zumindest erklärt, warum eine Band, deren Musik wir nicht kannten und deren Texte wir nicht verstehen konnten, plötzlich abgefeiert wurde, als handele es sich um Superstars. Abernatürlich waren die Mannheimer einfach nett - und Festival-ausgehungert.



Bevor es nun mit dem Tages-Headliner Drangsal weiterging, betrat der Organisator, Timo Kumpf, höchstpersönlich die Bühne. Nach Danksagungen und der Information, dass man mit dem Aufbau der Bühnen zu einem Zeitpunkt begonnen hätte, als noch keine Genehmigung vorlag, erklärte er den eigentlichen Anlass der Rede: Offensichtlich hatten viele Gäste den durch abgesperrte Passagen und Ordner geregelten Zugang zum Innenraum ignoriert und waren über Absperrbänder geklettert. Er mahnte, das zu unterlassen, sonst würden Ordner einschreiten müssen.



Und  dann war Drangsal.am Start. Dessen neues und drittes Album "Exit Strategy" war im Vorfeld des Festivals einige Male bei uns Zuhause gelaufen und hatte meinen Wunsch, das Maifeld Derby zu besuchen, ehrlich gesagt nicht verstärkt. Deutsche Texte mit Reimen im Stil von Farin Urlaub (oder auch der Kategorie Liebe - Hiebe - Triebe), aber ohne die zugehörige ironische Brechung. Gerade das scheint aber extrem gut anzukommen: Das Album stieg auf Platz 6 in die deutschen Albumcharts ein.

Vor vielen Jahren habe ich in einer Zeit, als ich hier jeden Sonntag ein Musikvideo postete, auch einen Beitrag zur Drangsal-Single "Allan Align" veröffentlicht - einem durchaus verstörenden Video mit Jenny Elvers. Als ich den Beitrag mit genau diesem Wort auch auf Facebook veröffentlichte, kommentierte der Künstler selbst und echo-te "Verstörend". 



Insgeheim hatte ich also mit weiteren Angriffen auf meinen Seelenfrieden gerechnet, und immerhin erschien der Künstler, der von einer fünfköpfigen Band begleitet wurde (und alle zusammen auch mit "Wir sind Drangsal" vorstellte), mit einer roten Teufelsmaske, die seinen Kopf komplett umschloss und zum ebenfalls roten Anzug passte (und auch zum Albumcover). Unheimlicher wurde es dann aber nicht mehr: Nach einigen Liedern fiel die Maske, zurück blieb ein kahlrasierter Sänger mit rotem Lidschatten, später legte er auch das Sakko ab und zahlreiche Tattoos frei.



Auch die Musik, das hatte ich ja bereits daheim vorgehört, ist heutzutage deutlich poppiger geraten, wobei bei aller Leichtgewichtigkeit manche Texte, etwa der zu "Mädchen sind die schönsten Jungs", sicherlich Herzensthemen ansprechen. Und auch, wenn mich selbst die Musik nicht unbedingt anspricht, muss ich auch zugeben: Damit stand ich an diesem Ort und an diesem Abend ziemlich alleine da. Mannheim sang mit, tanzte, umarmte sich und feierte. Ein Teil der allgemeinen Begeisterung dürfte sicherlich auch der langen Festivalpause geschuldet sein, aber Drangsal hatte vermutlich von allen Festivalacts, die ich an diesem Wochenende sah, das ausgelassendste Publikum. Vielleicht hatten sich auch Zuschauer extra wegen des Künstlers Tagestickets gekauft, denn das Publikum wirkte auch jünger als beim verbleibenden Festival - dass die anderen Hauptacts Sophie Hunger und The Notwist eher ältere Gäste anzogen, klingt logisch.



Das Lied "Schnuckel" (in dem es angeblich um Paris Hilton geht) endete mit einigen Takten von "Nur ein Wort" von Wir sind Helden, was wir einfach so hinnahmen - später las ich allerdings, dass Max Gruber bereits am Nachmittag selbigen Song komplett gecovert hatte, als er den Musiker Edwin Rosen in seinem Set besuchte - wer dabei gewesen war, verstand sicher die Referenz.

Zum Ende des Sets hin hörten wir auch noch den alten Song "Allan Align", ansonsten blieb es meist deutschsprachig und auf die neueren Songs fokussiert. 

Mit der Zugabe "Exit Strategy" endete sowohl der Auftritt von Drangsal als auch er erste Maifeld Derby-Tag. 

Setliste:

Ein Lied geht nie kaputt 
Will Ich Nur Dich 
Liedrian
Benzoe  
Schnuckel 
Arche Gruber 
Love Me Or Leave Me Alone 
Magst du mich (oder magst du bloß noch dein altes Bild von mir) 
Mädchen sind die schönsten Jungs 
Urlaub von mir 
Turmbau zu Babel
Allan Align 
Exit Strategy 


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