Heiß Heiß beim Hear Hear! Festival (Teil 3)

by - August 22, 2022


11.30 morgens bis 0:50 in der Nacht ist durchaus ein musikalisches Gewaltprogramm - selbst, wenn es nicht ungewöhnlich heiß ist. Auch die Zelte, in denen sämtliche Bandauftritte stattfanden, waren gleichzeitig Fluch und Segen: Natürlich spendeten sie dringend notwendigen Schatten, und ein Tag komplett im Freien hätte sicherlich zu vielen Notarzteinsätzen geführt. Allerdings waren sie nicht, wie in der Ankündigung erwähnt worden war, gut belüftet. Gut, die Ein- und Ausgänge waren relativ groß, aber ein Durchzug fand nicht statt. Und so kam es auch, dass ich nach zwei Dritteln des Sets von Liam Gallagher die Sauna-Kombination von in Zelt gestauter Hitze und der feuchten Körperwärme um mich herum (nebst gelegentlicher Bier-Aufgüsse) nach draußen abwanderte, wo auch viele andere das Konzert per Videoleinwand verfolgten - sitzend, während es um uns herum langsam angenehm kühler wurde.



Nach dieser kleinen "Pause" ging es für uns gemeinsam zurück zum Gimme Gimme-Zelt, wo das Set von Future Islands soeben begonnen hatte. Die Band aus Baltimore wurde durch einen Auftritt in David Lettermans Late Night Show weltweit berühmt, live gesehen hatte ich sie auch schon zweimal: 2014 beim Maifeld Derby und ein Jahr später beim Best Kept Secret - den letztgenannten Auftritt beendete der grundsätzlich für Theatralik sehr offene Sänger Samuel T. Herring damals damit, dass er sich scheinbar in den nahe gelegenen See stürzte, was mir gut im Gedächtnis geblieben ist.

Das alles ist nun 8 Jahre her, aber an Fitness hat Herr Herring überhaupt nichts eingebüßt, eventuell hat er ja auch Corona als Fitnesspause genutzt? Den Kasatschok beherrscht er jedenfalls immer noch problemlos und bot auch sonst so viele Tanzbewegungen plus Dramatisierung der Songtexte durch Mimik und Gestik an, dass wir Billy Nomates den ihr bereits zuerkannten Fitnesspreis des Tages wieder entreißen mussten: Niemand ist fitter als Samuel. Der Kontrast dieser Energiebombe zum eben erst abgefeierten, nahezu regungslosen Liam Gallagher hätte kaum größer sein können.



Dieser volle Körpereinsatz begeisterte das Publikum, das bei besonders gewagten Tanzschritten Szenenapplaus spendete und auch selbst fröhlich tanzte. In anderen Berichten stand zu lesen, dass Herr Herring sich am Ende des Auftritts das vollgeschwitzte T-Shirt vom Leibe riss - trotz seiner etwas gedrungenen Figur sind wir überzeugt, dass darunter nur Muskeln zu sehen gewesen sein können.

Höhepunkt des Sets war natürlich "Seasons (Waiting on you)", der dank Letterman bekannteste Song der Band. Die bereits sehr gute Stimmung des Publikums erreicht ihren Höhepunkt, was der Sänger sichtlich gerührt zur Kenntnis nahm.



Wir allerdings brachen nach diesem Highlight wieder auf, um unseren nächsten Termin bei den Pixies wahrzunehmen - sonst hätten wir den Auftritt gerne zu Ende angesehen.

Setliste:

For Sure
Hit the Coast
Plastic Beach
King of Sweden
Balance
Light House
The Painter
A Dream of You and Me
Day Glow Fire
Seasons (Waiting on You)
Long Flight
Tin Man
Little Dreamer



Ich weiß nicht, was damals bei meiner Indie-Sozialisierung falsch gelaufen ist, aber ich habe die Pixies und ihre Musik noch nie sonderlich spannend gefunden, dabei mag die doch eigentlich jeder! Außerdem veröffentlicht die Band dieses Jahr ein neues Album, "Doggerel", dessen im Set bereits enthaltene Titel (direkt hintereinander "Vault of Heaven", "The Lord Has Come Back Today" und "There's a Moon On") mir aber nicht auffielen, da ich ja ohnehin nur die Hits kenne... um so praktischer, dass die Musiker um Black Francis nach dem Opener "Wave of Mutilation" gleich als zweites Lied "Monkey Gone to Heaven" spielten, denn das kannte selbst ich!



Neben drei Coversongs von The Surftones, The Jesus and Mary Chain und Neil Young wurden alle Alben der Pixies mit Liedern bedacht, wobei der Schwerpunkt deutlich auf "Dolittle" und "Come on Pilgrim" lag - diese Lieder wurden seitens des Publikums auch am stärksten bejubelt. Mit "Human Crime" spielte die Band auch eine ´n neuen Song, der nur als Single veröffentlicht wurde.

Stickwort Black Francis, er war wie seine Bandkollegen hell gekleidet und wirkte in seiner biederen Hemd-Hose-Kombination auf mich eher wie ein Bankangestellter. In einem anderen Konzertbericht las ich aber, dass sein Outfit den Journalisten an Walter White aus Breaking Bad erinnert hatte, vielleicht war das Kleidungsmotto also auch eher "Wolf im Schafspelz".



Nach "Planet of Sound" folgten nun drei neue Lieder hintereinander, die auf jeden Fall nicht negativ auffielen. Durch den Verzicht auf sämtliches Drumherum wie Bühnendeko, spezielle Beleuchtung und vor allem auch das Reden schaffte es die Band, in ihrem 75-Minuten-Slot 22 Lieder zu spielen - was aber für die Pixies immer noch wenig ist, ein normales Set bei ihnen umfasst eher 38 Songs. Es gab also eigentlich keinen Grund, "Wave of Mutilation" gleich zweimal zu spielen (wenn auch in verschiedenen Versionen).

Nicht nur die Ansprache zum Publikum fehlte vollständig, auch untereinander schienen die Musiker nicht zu kommunizieren - lediglich vor "Nimrod's Son" war ein kurzer Austausch zwischen Francis und dem Gitarristen Joey Santiago zu beobachten. Und selbst das Geschrei zu "U-Mass" brachte Black Francis ohne erkennbare körperliche oder mimische Begleitreaktionen völlig statisch heraus.



Auch mir als Banausin entging nicht, dass die Band einen ihrer größten Hits, "Debaser" an diesem Abend nicht spielte - den größten Applaus erntete das ebenfalls sehr bekannte "Where is my mind". Am Ende des Auftritts verbeugte  man sich sehr brav und freundlich auf dem ansonsten wenig benutzten Steg, der von der Bühne aus ins Publikum führte (ich stellte mir sogar vor, dass die Organisatoren die Band extra aufgefordert hätten, doch mal den bislang so vernachlässigten Steg zu benutzen, und dass ihnen das erst am Ende des Sets eingefallen sein könnte...). Das war auch der Zeitpunkt, an dem man vermuten konnte, dass die Pixies selbst ein wenig Freude an ihrem Set gehabt haben könnten.



Setliste:

Wave of Mutilation
Monkey Gone to Heaven
Planet of Sound
Vault of Heaven
The Lord Has Come Back Today
There's a Moon On
Gouge Away
Cecilia Ann (The Surftones cover)
Human Crime
Head On (The Jesus and Mary Chain cover)
Isla de Encanta
U-Mass
Caribou
Velouria
Nimrod's Son
The Holiday Song
Death Horizon
All the Saints
Here Comes Your Man
Wave of Mutilation (UK Surf version)
Where Is My Mind?
Winterlong (Neil Young cover)



Wieder war es mir schwer gefallen, die feuchte Hitze im Zelt zu ertragen, und ich hatte bereits während des Pixies-Auftritts beschlossen, das nun folgende Konzert der Belgier von Balthazar maximal per Videoleinwand von draußen anzusehen. Meinem Freund ging es aber genauso, so dass wir uns letztlich eine musiklose Pause vor dem Hauptzelt gönnten. Diverse Personen waren ebenfalls müde und schliefen auf der Wiese, während Ordner umhergingen und nach und nach alle Liegenden ansprachen, um zu klären, ob sie gesundheitliche Probleme hätten - was wir sehr löblich fanden.

Frisch gestärkt nach kurzem Ausruhen war es für uns und alle anderen nun Zeit, den Headliner und letzten Musicact des Festivals anzusehen: Editors, die nach einer kurzfristigen Umstellung des Zeitplans ein paar Extraminuten für ihren Auftritt bekommen hatten. Die Band steht kurz vor der Veröffentlichung ihres nächsten Albums "EBM", das dazu neu gestaltete Bandlogo (das auch das Cover zieren wird) schwebte über der Bühne. Nicht dabei hatte man heute zum Glück die Feuerfontänen, mit denen wir die Band einst beim Best Kept Secret gesehen hatten (heute wäre eine Eiswürfelfontäne super gewesen...). Es fehlte ebenfalls der Elektrokünstler Blanck Mass, der seit diesem Jahr festes Mitglied der Band ist und an der neuen Platte beteiligt war. Nicht vergessen hatte man dagegen jede Menge Strobolicht und andere visuelle Effekte.




Die Musiker um Tom Smith stiegen gleich mit einem neuen Song ein, "Heart Attack", der bereits als Single veröffentlicht wurde und mir auch recht gut gefällt. Wie üblich sparte Smith nicht an emotionalen Gesten und zeigte gleich einmal seine nackte Brust (mit darin schlagendem Herzen). Nach dem alten Hit "The Racing Rats" folgte überraschend der Elektro-Stampfer "Papillon", der anscheinend in Belgien besonders beliebt ist, und der direkt in das ebenfalls recht neue (leider aber weit weniger gute) Lied "Frankenstein" überging. 

Mit den nun folgenden "Magazine" und "Karma Climb" hatte man sich aus meiner Sicht nicht gerade für Gassenhauer entschieden ("Karma Climb" ist dabei ebenfalls neu), nach diesem kleinen Hänger ging es aber zumindest aus meiner Sicht gut weiter mit alten und neuen Hits (u.a. "No Harm", "An End has a Start" und "Blood"). 




Neben uns stand die ganze Zeit eine Gruppe von Belgiern, die auf ein Pappschild ihren Wunsch nach "No Sound but the wind" kund taten - einem Album-Track, der mit einer Liveversion in Belgien 2010 Platz 1 der Charts erreichte. Mein Freund und ich hatten bereits einmal in Wiesbaden erlebt, dass die Editors genau diesen Song für den kommenden Abend in Belgien mit uns "probten" und nicht die geringsten Zweifel daran, dass sie diesen lokalen Tophit heute spielen würden. Unsere Nachbarn waren sich da weniger sicher und hielten das Schild mit viel Aufwand und gegenseitigem Hochheben immer wieder in Tom Smiths Richtung, bis dieser schließlich eine diskrete positive Geste gemacht haben muss - danach lagen die Fans sich nämlich glücklich in den Armen und zeigten das Schild nicht mehr.




Zunächst wurden im Rahmen der Setliste aber sämtliche Editors-Alben berücksichtigt (mit je maximal drei Liedern), Tom Smith nutzte dann auch als erster von uns besuchter Künstler wirklich ausgiebig den Steg ins Publikum und übernahm den Showteil mit seinen dramatischen Bewegungen irgendwo zwischen charismatisch und Karikatur weitestgehend allein - seine Bandmitglieder animierten höchstens einmal zum Mitklatschen - und das zum Glück auch nicht allzu häufig.




Viel erzählt wurde allerdings nicht von Herrn Smith, er gab lediglich ein Konzert seiner Band im Brüsseler Forest National im Oktober bekannt - bis dahin ist dann auch das neue Album erhältlich - und schlug vor, dass wir alle auch dorthin kommen sollten. Nach meinen persönlichen Lieblingsliedern "Smokers Outside the Hospital Doors" und "Munich" war es dann auch Zeit für die inoffizielle belgische Nationalhymne "No Sound but the Wind" - dann waren Konzert und Festival beendet.

Etwas suboptimal war, dass durch das Ansetzen des Hauptacts als letztes und konkurrenzloses Event nun sämtliche Besucher gleichzeitig das Gelände verließen, was uns einen ordentlichen Verkehrsstau bescherte. Sollte das Hear Hear! zu einem regelmäßigen Event wären, sollten die Veranstalter erwägen, noch ein bis zwei Bands nach dem Hauptact auftreten zu lassen, was die Besucherströme etwas verteilen würde.




Setliste:

Heart Attack 
The Racing Rats 
Papillon 
Frankenstein 
Magazine 
Karma Climb 
Violence 
No Harm 
An End Has A Start 
Blood 
Kiss 
Sugar 
Smokers Outside the Hospital Doors 
Munich 
No Sound but the Wind 

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