11.30 morgens bis 0:50 in der Nacht ist durchaus ein musikalisches Gewaltprogramm - selbst, wenn es nicht ungewöhnlich heiß ist. Auch die Zelte, in denen sämtliche Bandauftritte stattfanden, waren gleichzeitig Fluch und Segen: Natürlich spendeten sie dringend notwendigen Schatten, und ein Tag komplett im Freien hätte sicherlich zu vielen Notarzteinsätzen geführt. Allerdings waren sie nicht, wie in der Ankündigung erwähnt worden war, gut belüftet. Gut, die Ein- und Ausgänge waren relativ groß, aber ein Durchzug fand nicht statt. Und so kam es auch, dass ich nach zwei Dritteln des Sets von Liam Gallagher die Sauna-Kombination von in Zelt gestauter Hitze und der feuchten Körperwärme um mich herum (nebst gelegentlicher Bier-Aufgüsse) nach draußen abwanderte, wo auch viele andere das Konzert per Videoleinwand verfolgten - sitzend, während es um uns herum langsam angenehm kühler wurde.
Nach dieser kleinen "Pause" ging es für uns gemeinsam zurück zum Gimme Gimme-Zelt, wo das Set von Future Islands soeben begonnen hatte. Die Band aus Baltimore wurde durch einen Auftritt in David Lettermans Late Night Show weltweit berühmt, live gesehen hatte ich sie auch schon zweimal: 2014 beim Maifeld Derby und ein Jahr später beim Best Kept Secret - den letztgenannten Auftritt beendete der grundsätzlich für Theatralik sehr offene Sänger Samuel T. Herring damals damit, dass er sich scheinbar in den nahe gelegenen See stürzte, was mir gut im Gedächtnis geblieben ist.
Das alles ist nun 8 Jahre her, aber an Fitness hat Herr Herring überhaupt nichts eingebüßt, eventuell hat er ja auch Corona als Fitnesspause genutzt? Den Kasatschok beherrscht er jedenfalls immer noch problemlos und bot auch sonst so viele Tanzbewegungen plus Dramatisierung der Songtexte durch Mimik und Gestik an, dass wir Billy Nomates den ihr bereits zuerkannten Fitnesspreis des Tages wieder entreißen mussten: Niemand ist fitter als Samuel. Der Kontrast dieser Energiebombe zum eben erst abgefeierten, nahezu regungslosen Liam Gallagher hätte kaum größer sein können.
Dieser volle Körpereinsatz begeisterte das Publikum, das bei besonders gewagten Tanzschritten Szenenapplaus spendete und auch selbst fröhlich tanzte. In anderen Berichten stand zu lesen, dass Herr Herring sich am Ende des Auftritts das vollgeschwitzte T-Shirt vom Leibe riss - trotz seiner etwas gedrungenen Figur sind wir überzeugt, dass darunter nur Muskeln zu sehen gewesen sein können.
Höhepunkt des Sets war natürlich "Seasons (Waiting on you)", der dank Letterman bekannteste Song der Band. Die bereits sehr gute Stimmung des Publikums erreicht ihren Höhepunkt, was der Sänger sichtlich gerührt zur Kenntnis nahm.
Wir allerdings brachen nach diesem Highlight wieder auf, um unseren nächsten Termin bei den Pixies wahrzunehmen - sonst hätten wir den Auftritt gerne zu Ende angesehen.
Setliste:
Hit the Coast
Plastic Beach
King of Sweden
Balance
Light House
The Painter
A Dream of You and Me
Day Glow Fire
Seasons (Waiting on You)
Long Flight
Tin Man
Little Dreamer
Ich weiß nicht, was damals bei meiner Indie-Sozialisierung falsch gelaufen ist, aber ich habe die Pixies und ihre Musik noch nie sonderlich spannend gefunden, dabei mag die doch eigentlich jeder! Außerdem veröffentlicht die Band dieses Jahr ein neues Album, "Doggerel", dessen im Set bereits enthaltene Titel (direkt hintereinander "Vault of Heaven", "The Lord Has Come Back Today" und "There's a Moon On") mir aber nicht auffielen, da ich ja ohnehin nur die Hits kenne... um so praktischer, dass die Musiker um Black Francis nach dem Opener "Wave of Mutilation" gleich als zweites Lied "Monkey Gone to Heaven" spielten, denn das kannte selbst ich!
Neben drei Coversongs von The Surftones, The Jesus and Mary Chain und Neil Young wurden alle Alben der Pixies mit Liedern bedacht, wobei der Schwerpunkt deutlich auf "Dolittle" und "Come on Pilgrim" lag - diese Lieder wurden seitens des Publikums auch am stärksten bejubelt. Mit "Human Crime" spielte die Band auch eine ´n neuen Song, der nur als Single veröffentlicht wurde.
Stickwort Black Francis, er war wie seine Bandkollegen hell gekleidet und wirkte in seiner biederen Hemd-Hose-Kombination auf mich eher wie ein Bankangestellter. In einem anderen Konzertbericht las ich aber, dass sein Outfit den Journalisten an Walter White aus Breaking Bad erinnert hatte, vielleicht war das Kleidungsmotto also auch eher "Wolf im Schafspelz".
Nach "Planet of Sound" folgten nun drei neue Lieder hintereinander, die auf jeden Fall nicht negativ auffielen. Durch den Verzicht auf sämtliches Drumherum wie Bühnendeko, spezielle Beleuchtung und vor allem auch das Reden schaffte es die Band, in ihrem 75-Minuten-Slot 22 Lieder zu spielen - was aber für die Pixies immer noch wenig ist, ein normales Set bei ihnen umfasst eher 38 Songs. Es gab also eigentlich keinen Grund, "Wave of Mutilation" gleich zweimal zu spielen (wenn auch in verschiedenen Versionen).
Nicht nur die Ansprache zum Publikum fehlte vollständig, auch untereinander schienen die Musiker nicht zu kommunizieren - lediglich vor "Nimrod's Son" war ein kurzer Austausch zwischen Francis und dem Gitarristen Joey Santiago zu beobachten. Und selbst das Geschrei zu "U-Mass" brachte Black Francis ohne erkennbare körperliche oder mimische Begleitreaktionen völlig statisch heraus.
Auch mir als Banausin entging nicht, dass die Band einen ihrer größten Hits, "Debaser" an diesem Abend nicht spielte - den größten Applaus erntete das ebenfalls sehr bekannte "Where is my mind". Am Ende des Auftritts verbeugte man sich sehr brav und freundlich auf dem ansonsten wenig benutzten Steg, der von der Bühne aus ins Publikum führte (ich stellte mir sogar vor, dass die Organisatoren die Band extra aufgefordert hätten, doch mal den bislang so vernachlässigten Steg zu benutzen, und dass ihnen das erst am Ende des Sets eingefallen sein könnte...). Das war auch der Zeitpunkt, an dem man vermuten konnte, dass die Pixies selbst ein wenig Freude an ihrem Set gehabt haben könnten.
Setliste:
Monkey Gone to Heaven
Planet of Sound
Vault of Heaven
The Lord Has Come Back Today
There's a Moon On
Gouge Away
Cecilia Ann (The Surftones cover)
Human Crime
Head On (The Jesus and Mary Chain cover)
Isla de Encanta
U-Mass
Caribou
Velouria
Nimrod's Son
The Holiday Song
Death Horizon
All the Saints
Here Comes Your Man
Wave of Mutilation (UK Surf version)
Where Is My Mind?
Winterlong (Neil Young cover)
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