Gesehen: April 2021
Es hätte wohl kaum einen schlechteren Zeitpunkt geben können, eine neue Serie von Joss Whedon herauszubringen. Vor rund einem Jahr hätte man mit dem Namen des Schöpfers von Buffy the Vampire Slayer, Angel und der ersten beiden Avengers-Filme sicher jede Menge Werbung gemacht. Whedon galt als begabter und kreativer Autor, und ich für meinen Teil bin in die ersten Filme des Marvel Cinematic Universe überhaupt nur eingestiegen, weil schon recht früh feststand, dass Whedon den Film machen würde, der alle Handlungsstränge zusammenführen würde. Ich selbst habe auch im Nachhinein zu viele Staffeln der häufig zähen Serie Agents of S.H.I.E.L.D. durchgestanden, weil Whedon am Anfang involviert war.
Letztes Jahr änderte sich aber die öffentliche Meinung zu Whedon, als ihn zunächst der Schauspieler Ray Fisher beschuldigte, sich gegenüber den Schauspielern und Mitarbeitern des Justice League-Films grob, beleidigend, unprofessionell und völlig inakzeptabel verhalten zu haben. Diese Anschuldigungen wurden dann von Jason Mamoa und später auch Charisma Carpenter und diversen anderen Buffy-Mitwirkenden (inklusive Sarah Michelle Gellar) bestätigt. Aktuell ist Whedon in Hollywood eine persona non grata, wobei man auch nicht vergessen sollte, dass er - vermutlich zurecht - beschuldigt wird, Untergebene und Schauspieler schlecht zu behandeln. Das ist zweifellos schlimm und sollte geahndet werden, aber dann doch eine komplett andere Liga, als wenn man wie Harvey Weinstein andere sexuell belästigt und ausnutzt.
Schon bevor die Vorwürfe ans Licht kamen, hatte Whedon die erste Staffel seiner neuesten Serie The Nevers abgedreht, und ebenfalls davor hatte er beschlossen, nach dieser Staffel auszusteigen. HBO musste sich also gar nicht erst überlegen, ob man sich von Whedon trennen sollte, hat allerdings bei der Werbung für die neue Serie darauf verzichtet, seinen Namen in den Vordergrund zu stellen.
Worum geht es bei The Nevers? Wie gefühlt jede zweite aktuelle Serie spielt auch diese im viktorianischen Zeitalter - in diesem Fall in London. Die Hauptfiguren Amala True und Penance Adair leiten ein Kinderheim für Frauen und Kinder, die aus zunächst unbekannten Gründen ungewöhnliche Eigenschaften entwickelt haben: Amala selbst kann in die Zukunft sehen, Penance erkennt Strom- und Energieflüsse intuitiv und ist deshalb eine phantastische Erfinderin. Doch nicht alle von den sogenannten "Berührten" entwickelten Eigenschaften sind erstrebenswert, so holen die beiden Leiterinnen in der ersten Folge ein Mädchen zu sich, dass plötzlich nur noch Chinesisch sprechen kann. Das Phänomen der Berührten ist der Allgemeinheit bekannt, diese hat generell Angst vor ihnen und will nichts mit ihnen zu tun haben. Amalas und Penances Heim wird von einer gesellschaftlich hochgestellten Dame finanziert, bei der sich im Laufe der Serie erst herausstellen muss, ob sie wirklich altruistische Motive hat.
Die Berührten müssen sich aber nicht nur vor einer sie ablehnenden Gesellschaft fürchten, sondern auch vor einer bislang geheimnisvollen Organisation, die einzelne von ihnen entführt und mit ihnen experimentiert, sowie einer "Verrückten" namens Maladie, die eine Art Terrororganisation aus Berührten leitet und für alle Menschen eine Gefahr darstellt.
Anders als bei Netflix, wo ja im allgemeinen ganze Serienstaffeln auf einmal veröffentlicht werden, müssen die Zuschauer von The Nevers Geduld mitbringen: Die Folgen erscheinen wöchentlich, und mittlerweile kann man fünf davon sehen. Die erste Staffel umfasst zwölf Folgen in zwei Blöcken, also rechne ich nach den ersten sechs Folgen auch noch mit einer längeren Unterbrechung.
The Nevers weist Elemente vieler bekannter Fime und Serien auf - Buffy als Vorbild einer Serie mit starken weiblichen Hauptfiguren, die ohne gesellschaftliche Anerkennung das Richtige tun, bietet sich natürlich an. Das Motiv der teils mehr, teils weniger nützlichen Superkräfte erinnert mich an die Mutanten in X-Men, die viktorianische Optik unter anderem an die Sherlock Holmes-Filme mit Robert Downey Junior, die Steampunk-Elemente lassen mich an... Steampunk denken, hier kenne ich mich nicht wirklich aus.
Aber auch als Kombination vieler bereits bekannter Versatzstücke finde ich The Nevers spannend und interessant und möchte auf jeden Fall sehen, wie diverse Geheimnisse aufgelöst werden.
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