Gelesen: März 2022

by - April 19, 2022


Letztes Jahr bekam ich zum Geburtstag den Roman Six Stories von Matt Wesolowski geschenkt. Der dünne Band, der zum Auftakt einer bislang sechsteiligen Reihe wurde, basiert auf einer ziemlich cleveren Idee: Die Menschen lieben True Crime-Podcasts, warum nicht einen Krimi schreiben, der tut, als sei er eben solch ein Podcast, also quasi sein Skript?

Der fiktive Podcast, um den es geht, wird von einem Journalisten namens Scott King betrieben, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, mit jeweils sechsteiligen Staffeln immer ein Verbrechen zu beleuchten, indem er dazu sechs Interviews mit Betroffenen führt. Er betont dabei vorab, dass er kein Detektiv sei und es deshalb nicht darum gehen könne, das Verbrechen aufzuklären - aber selbstverständlich ist es das aus Lesersicht genau das Ziel.

Das Verbrechen, um das sich Buch 1 dreht, ist der ungeklärte Todesfall eines Jugendlichen, der vor zwanzig Jahren im Rahmen einer Art Jugendfreizeit in einem abgelegenen Wald verschwand und dessen Leiche erst ein Jahr später gefunden wurde. Der "Erzähler" Scott King lässt die von ihm arrangierten Interviews dabei nicht alleine für sich stehen, sondern liefert auch seine eigenen Gedanken zu der Faktensammlung.

Hinzu kommt eine Art Rahmenhandlung aus der Perspektive des Eigentümers des Waldes und der von den Jugendlichen benutzten Hütte, der zudem die Leiche gefunden hat - er ist zwar auch einer der Interviewpartner, zusätzlich beginnt aber jedes Kapitel mit seinen Gedanken, die Scott King in dieser Tiefe wohl nicht erfährt.

Die durch die Interviews übermittelten Informationen werfen zwar nach und nach ein helleres Licht auf die Jugendgruppe, deren Dynamik und die einzelnen beteiligten Charaktere, aber erst das letzte Kapitel versorgt die Lesenden mit den entscheidenden Informationen zu dem Todesfall. Dabei wird neben den nüchternen Fakten, die den Verlauf der Todesnacht beschreiben, auch eine übernatürliche Erklärung zumindest nicht völlig außer Acht gelassen.

Wesolowski gelingt es sehr gut, Spannung aufzubauen, und die Idee mit dem Podcast als Begründung dafür, Personen zu einer uralten Geschichte zu befragen, gefiel mir ebenfalls. Der Realismus kommt dabei allerdings recht kurz: Dass die damals Beteiligten sich alle noch sehr gut an den Ausflug erinnern können, in dessen Rahmen der später Verstorbene verschwand, erscheint mir noch plausibel: Schließlich wurden alle damals schon intensiv dazu befragt. Dass die Personen 20 Jahre später aber auch recht detaillierte Informationen zu früheren Ereignissen und Ausflügen geben können, erscheint doch einigermaßen unwahrscheinlich: Natürlich kann ich mich an Diverses aus meiner Jugend erinnern, gerade auch an Ferien- und Jugendreisen. Aber gerade bei mehrmals besuchten Zielen würde es mir doch einigermaßen schwer fallen, mich beispielsweise daran zu erinnern, wie bei der Hinfahrt die Stimmung im Bus war, oder was an einem bestimmten Abend was getan hat...

Ich habe dann gleich noch Teil 2 der Reihe "gelesen", dieses Mal als Hörbuch. Unter dem Titel Hydra befasst sich diese Geschichte mit einer jungen Frau, die eines Nachts ihre gesamte Familie tötete und seitdem in einer psychiatrischen Klinik lebt. In dieser Geschichte geht es weniger darum, das Verbrechen aufzuklären - die Täterin steht ja fest - und mehr darum, zu ergründen, wie es dazu kam. 

In der Hörbuchfassung kommt man in den Genuss verschiedener Sprecher, was angesichts der Tatsache, dass es sich ja um Interviews im Rahmen eines Podcasts handeln soll, sehr sinnvoll ist. Allerdings zeigt sich in der vorgelesenen Version, dass die Interviews nicht immer sonderlich realistisch sind - der Austausch der Befragten mit dem Journalisten wirkt einfach nicht immer sonderlich logisch. So kann sich ein Gesprächsteilnehmer zunächst nicht an seine erste Begegnung mit der Täterin erinnern, schildert genau diese später im Interview aber detailliert, ohne, dass das thematisiert wird.

Auch Hydra hat eine Art "Auflösung". Die Spannung und der Gruselfaktor wird aber wiederum auch durch ausführlich erzählte übernatürliche Komponenten erhöht: Die Protagonistin ist besessen vom urbanen Mythos der "black-eyed kids" und führt zudem diverse im Internet dokumentierte Rituale durch, die den Übertritt in eine Parallelwelt ermöglichen sollen (siehe beispielsweise hier). Beides fand ich so gruselig, dass ich froh bin, ohne das Internet und folglich auch ohne solche Legenden aufgewachsen zu sein...

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