Neulich in den 80ern (3): Midge Ure im Aschaffenburger Colos-Saal

by - Oktober 03, 2022


Mein Haushalt ist in manchen Dingen etwas ungewöhnlich. So unterbreitete mir mein Freund für die Herbst-Konzertplanung kürzlich eine Art Pitch-Präsentation mit seinen Vorschlägen und bat mich, die Events jeweils mit Punkten zu bewerten, je nachdem, wie gerne ich hinfahren wollte. Wie man das eben so macht.

Über die Anwesenheit von Midge Ure in der Liste war ich recht überrascht und konnte mir auch keinen Grund vorstellen, warum wir den 80er-Jahre-Künstler besuchen sollten. Hier zeigte ich dann aber eine doch erhebliche Diskrepanz, denn mein Freund gab zu, dass der ehemalige Ultravox-Sänger sein Favorit in der gesamten Vorschlagsammlung war.

Nun, der Konzerttermin fiel auf den Samstagabend eines langen Wochenendes (der Montag war Feiertag), also fasste ich mir ein Herz, so hatte ich dann auch die Gelegenheit, einen dritten Teil für meine vor Jahren gestartete Reihe "Neulich in den 80ern" (bisherige Beiträge: Deacon Blue und Paul Heaton) zu verfassen.

Preisbewusst kauften wir eines unserer beiden Tickets bei eBay Kleinanzeigen, das andere erwarben wir im regulären Vorverkauf (mit dem lustigen Nebeneffekt, dass die Eintrittskarten für unterschiedliche Konzerttermine ausgestellt waren, denn die Midge Ure-Tour war ursprünglich für 2020 geplant gewesen und dann Pandemie-bedingt zweimal verschoben worden). Dann ging es los nach Aschaffenburg, wo wir mit dem Colos-Saal auch gleich eine für uns neue Konzert-Location kennenlernten.



Das (oder der?) Colos-Saal entpuppte sich bei unserem Eintreffen als kleiner und auch voller als wir das vorab erwartet hatten: Der Zuschauerraum war bereits dicht gefüllt, und nur mit Glück schafften wir es noch relativ weit nach vorne. Befriedigt stellte ich beim Umsehen fest, dass ich mich an diesem Konzertabend endlich einmal jung fühlen konnte, denn während ich selbst in der Hauptschaffensphase von Ultravox erst 9 Jahre alt war, hatten die meisten Anwesenden diese wohl zumindest im Teenageralter mitbekommen. Dass es so eng war, bedeutete auch, dass uns schnell unangenehm warm wurde - offensichtliche Stammgäste waren im T-Shirt da, während wir uns angesichts der recht niedrigen Außentemperatur viel zu warm angezogen hatten.

Schwitzend konnten wir - umgeben von doch einigen Personen mit Midge Ure-Devotionalien in Form von T-Shirts, Jutebeuteln und Mützen sowie gut sichtbaren Backstage-Pässen - noch den Rest des Vor-Vorprogramms sehen, denn die Bühne war von einer Leinwand bedeckt, auf der Videos der Bands abgespielt wurden, die demnächst im Colos-Saal zu Gast sein werden, jeweils mit eingeblendetem Datum des Auftritts. Für uns war aber leider nichts dabei, aber immerhin wissen wir nun, dass es Die Happy noch gibt - und eine deutschsprachige Rockband namens Vvlva. 



Um Punkt 8 begann die Vorband, India Electric Co., ihr Set. Das britische Duo hatte sich den langjährigen Schlagzeuger von Midge Ure, Russell Field, ausgeliehen, und spielte ein Set aus folkigen Popsongs, wobei Cole Stacey die Gesangsparts (und auch das Reden mit dem Publikum) übernahm sowie Gitarre spielte und Joseph O'Keefe diverse Instrumente bediente, unter anderem eine Geige. Die beiden spielten neben eigenen Songs eine Coverversion von Bruce Springsteens "I'm On Fire" (kurioserweise mit Flöte) und einen mit dem deutschen Wort "Heimat" betitelten Song, der ihre Gefühle gegenüber dem Leben auf Tour - und sicherlich die Frage, was Heimat genau bedeutet - ausdrückt.

Die India Electric Co. konnte in Aschaffenburg viel Applaus ernten.

Setliste:

Only Waiting
Heimat
I’m On Fire (Bruce Springsteen cover)
Parachutes
Lost In Translation
Statues



Erstaunlicherweise war hinter dem Schlagzeug von Russell Field ein weiteres aufgebaut, er benutzte also als Mitglied der Vorband ein anderes als später im Hauptteil. Auch die anderen Instrumente wurden nun teils ausgetauscht, teils vorbereitet, dann waren die drei Musiker der India Electric Co. schon wieder auf der Bühne - dieses Mal in Anzügen, teils auch mit Krawatte, und als Liveband von Midge Ure, der ebenfalls Anzug trug. Immerhin den Musikern war somit genauso warm wie uns im Publikum! Midge Ure legte auch im Gegensatz zu seiner "Band Electronica" (so heißt seine Begleitband) auch mit fortschreitender Zeit sein Sakko nicht ab. Er selbst wechselte während des Sets zwischen (meistens) Gitarre und (seltener) Synthesizer, während Cole Stacey und Joseph O'Keefe beide Keyboard spielten, Stacey auch öfters zum Bass griff und O'Keefe auch mehrmals die Geige einsetzte, besonders schön bei "Vienna".



Mein Freund hatte mir vorab erklärt, dass die Tournee, bevor sie dann zweimal verschoben wurde, ursprünglich als Anlass das 40jährige Jubiläum von "Vienna" gehabt hatte, entsprechend sollten die Highlights aus diesem Album und weitere Hits gespielt werden. Aber Ultravox waren mit Midge Ure in den frühen 80er Jahren ziemlich produktiv und veröffentlichten zwischen 1980 und 1982 gleich drei Alben. So trat 2022 das 40-jährige Jubiläum von „Vienna“ in den Hintergrund und rückten „Rage In Eden“ und „Quartet“ in den Fokus.



Das neue Konzept sah nun vier Blöcke vor - die Setliste war dafür an jedem Abend gleich. Nach „Dear God“ aus dem Jahr 1988 - und damit dem jüngsten an diesem Abend gespielten Song - folgte Midge Ures größter Solo-Hit „If I Was“. Der Solo-Block wurde anschließend für „Fade To Grey“ kurz verlassen, denn Ure war auch Mitglied von Visage und co-komponierte diesen Klassiker (ebenso wie „Do They Know It’s Christmas?“ - beim Ursprungstermin einige Tage vor Weihnachten hätte es dieser Song vielleicht auf die Setliste geschafft). Diesen Block schloss „No Regrets“ ab, seine erste Solo-Single, eine Coverversion des Folk-Klassikers von Tom Rush.



Nun folgte der Ultravox-Teil: „Rage in Eden“ feierte letztes Jahr seinen 40. Geburtstag und wurde wie „Vienna“ zusammen mit dem deutschen Produzenten Conny Plank aufgenommen. Dieses Album entstand komplett in Planks Studio in Wolperath im Süden von Köln. Insgesamt wurden sechs Songs aus dem Album gespielt, darunter die Singles „The Voice“ und „The Thin Wall“.

In zwei Wochen steht nun dann auch der 40. Geburtstag von „Quartet“ an, das Ultravox gemeinsam mit dem Beatles-Produzenten George Martin aufnahmen. Auch dieses Album wurde mit sechs Songs bedacht.  In beiden Blocks wurde nicht die Reihung der Lieder im Vergleich zu den Platten beibehalten. Wir hörten aber alle vier Singles: „Reap The Wild Wind“, „Hymn“ (wohl der Songs des Abends, der das Publikum am meisten mitriss), „Vision In Blue“ und „We Came To Dance“.



In der Zugabe kam dann zum Glück doch noch das Album „Vienna“ zu seinen Ehren. Midge Ure ist ein großer Freund von Instrumentals und arbeitet zurzeit an einem regulären Soloalbum sowie an einem rein instrumentalem Album. So ist wohl auch zu erklären, dass „Astradyne“, der Opener von „Vienna“, gespielt wurde. Zum Schluss kamen noch die letzten beiden Songs des Albums an die Reihe: „Vienna“ und „All Stood Still“.   

Etwas kurz kam leider die mündliche Kommunikation durch Midge Ure. Er brachte nur - in erkennbar schottischem Akzent - seine Freude zum Ausdruck, dass Livemusik wieder stattfinden kann, erklärte kurz das Konzept des Auftritts, die beiden Alben zu präsentieren und stellte am Ende sehr freundlich und ausführlich die Liveband-Mitglieder vor. So erfuhren wir dann auch, dass er den Drummer Russell Field schon kannte, als sie noch beide Haare hatten.



Hinsichtlich der Liveversionen der dargebotenen Songs fiel uns auf, dass diese vielfach rockiger ausfielen, als das auf Platte der Fall gewesen war, besonders auffällig war das bei "If I Was". "Hymn" wurde in einer recht schnellen Version gespielt. Etwas schade war, insbesondere für mich als Nicht-Superfan, dass viele Songs von der Setliste eher unbekannt waren, was natürlich dem Album-Konzept geschuldet war. Allerdings schien auch die generelle Publikumsbegeisterung bei den Hits am Anfang und am Ende am größten zu sein. Viele hätten, wie wir auch, sicher auch noch gerne "Dancing with tears in my eyes" und "Love's great adventure" gehört, die aber leider nicht ins Konzept passten.

Setliste:

Dear God
If I Was
Fade to Grey (Visage song)
No Regrets (Tom Rush cover)
The Voice (Ultravox song)
We Stand Alone (Ultravox song)
The Thin Wall (Ultravox song)
I Remember (Death in the Afternoon) (Ultravox song)
Your Name (Has Slipped My Mind Again) (Ultravox song)
Rage in Eden (Ultravox song)
Reap the Wild Wind (Ultravox song)
Mine for Life (Ultravox song)
We Came to Dance (Ultravox song)
Serenade (Ultravox song)
Hymn (Ultravox song)
Visions in Blue (Ultravox song)

Astradyne (Ultravox song)
Vienna (Ultravox song)
All Stood Still (Ultravox song)

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