Neulich in den Island-Wochen: Sigur Rós in der Pariser Salle Pleyel


Erst ein Islandurlaub, dann ein isländischer Musiker beim Wohnzimmerkonzert - und direkt ein Wochenende später fuhren mein Freund und ich nach Paris, um dort die isländische Band schlechthin zu sehen, Sigur Rós. 

Geplant war die Häufung Island-bezogener Ereignisse allerdings nicht, denn diese Konzertreise hatten wir bereits vor einem knappen Jahr geplant. Damals kündigten Sigur Rós eine Reihe von Konzerten an, bei denen die Musiker mit einem klassischen Orchester auftreten würden. Für Deutschland waren überhaupt keine Termine angesetzt, für eine Wochenendreise wären für uns noch Rom oder London in Frage gekommen. So weit ich mich erinnere, führte letztlich die Verfügbarkeit von Tickets mit guter Sicht zu unserer Entscheidung für Paris - wo die Band an insgesamt drei Tagen hintereinander auftrat. Wir besuchten den zweiten davon.



Die Salle Pleyel ist ein durchaus historischer Konzertsaal, der bereits im 19. Jahrhundert eröffnet wurde, und in dem bereits Chopin aufgetreten ist. Er hat um die 1900 Sitzplätze. Durch die lange Zeitspanne zwischen Kartenkauf und Konzert hatten wir zwischenzeitlich völlig vergessen, welche Optionen wir gehabt hätten - ähnlich wie kürzlich bei Nick Cave in Baden-Baden verfügte der Zuschauerraum über Parkett- und Balkonplätze. 

Unsere Sitzplätze im ausverkauften Saal befanden sich in einem leicht erhöhten Bereich des Parketts, nicht gerade furchtbar nahe an der Bühne. Auf dieser konnte man bereits erkennen, dass hier ein komplettes Orchester sitzen würde, auf unserer Seite ließen sich insbesondere eine ganze Reihe Kontrabässe erkennen. Darüber waberte bereits jetzt etwas Bühnennebel, und man hörte monotone Synthesizer-Klänge.



Die einzige Dekoration der Bühne bestand aus einfachen Stehlampen, die meinen Freund (natürlich im Scherz) vermuten ließen, wir seien vielleicht versehentlich bei M. Walking on the Water und ihren Wackellampen gelandet - wackeln konnten diese Lampen allerdings nicht, nur an- und ausgedimmt werden sowie in verschiedenen Farben leuchten. 

Bei dem Orchester handelte es sich um das Orchestre Lamoureux, alt eingesessen in Pariser - die Band arbeitet bei den jeweiligen Tourstationen mit lokalen Musikern (alles andere wäre wohl auch viel zu teuer), der Dirigent bleibt aber immer Robert Ames - seinerseits Gründer des London Contemporary Orchestra, das bei den Tour-Auftritten in der dortigen Royal Albert Hall auch zum Einsatz kommt.



Ich fragte mich ein wenig, wie wohl das Proben funktioniert haben mag - hatten die Musiker jeweils mit ihren eigenen Dirigenten geprobt und begegneten Ames jeweils erstmals auf der Bühne? Funktioniert so etwas überhaupt, oder müssen sich Musiker und Dirigent nicht erst ein bisschen aneinander gewöhnen? Ist Ames vielleicht vor der Tour herumgereist, um den Musikern vor Ort seine Vision des Auftritts zu vermitteln? Meine wenigen Erfahrungen im Schulorchester vor 40 Jahren helfen mir nicht dabei, hier eine glaubwürdige These zu entwickeln.




Nun kamen die etwa 40 Orchestermusiker auf die Bühne. Am besten konnte ich die Streicher erkennen und dachte zunächst es gäbe überhaupt keine Blasmusiker - diese befanden sich aber einfach weiter hinten. Die relative Dunkelheit der Bühne und unsere Entfernung führten dazu, dass ich häufig nicht wirklich ausmachen konnte, was gerade passierte.

Das galt auch für Sigur Rós selbst, die sich weder optisch noch räumlich von den anderen Musikern abgrenzten. Ganz vorne beim Dirigenten saß ein Mann, der sang und Gitarre spielte - klar, das war Jónsi. Dass das neu zurückgekehrte Bandmitglied Kjartan mittig auf der Bühne am Flügel saß, erkannte ich erst, als mein Freund mich darauf aufmerksam machte. "Goggi" Hólm konnte ich mit Bass, Gitarre und gelegentlich Glockenspiel rechts von Jónsi ausmachen - weil er meistens stand. Erst beim fünften Lied "Von" entdeckte ich, dass sich ganz hinten auf der Bühne ein Schlagzeuger befand, vermutlich Tourmusiker "Óbó" Ólafsson.



Auch kürzlich bei Nick Cave war unser Abstand zur Bühne groß und die Beleuchtung spärlich gewesen - Grund war in beiden Fällen sicherlich das Bestreben, den Fokus ausschließlich auf die Musik zu legen. Nun gab es bei Cave und Greenwood ja ohnehin tendenziell eher wenig zu sehen, bei Sigur Rós hätte ich es durchaus interessant gefunden, besser beobachten zu können, was im Orchester so vor sich ging. Ohne diese Möglichkeit wurde man aber immerhin gelegentlich überrascht, so kam zu Beginn von "Varðeldur" offensichtlich ein kleiner Chor zum Einsatz, der anschließend schnell wieder verschwand.

Natürlich muss man bei einem Auftritt mit einem Orchester die Songauswahl vorab festlegen, es verwundert also nicht, dass die Setliste bei dieser Tour stets gleich ausfällt, das Konzert ist zudem in zwei Hälften aufgeteilt, dazwischen gibt es eine kurze Pause. Vier der insgesamt 18 gespielten Lieder stammten vom letzten Album Átta von 2023, jeweils drei von "()", "Takk" und "Valtari". Rockigere Songs boten sich für die orchestralen Arrangements nicht an und wurden auch nicht gespielt. Den größten Applaus erhielten "Starálfur", "Untitled #1 – Vaka" und, fast am Ende des Auftritts, "Hoppípolla". 



Eine etwas seltsam anmutende Entscheidung war es in unseren Augen, dass Jónsi nach "Hoppípolla" die Bühne verließ. Den Abschlusssong, das instrumentale "Avalon", spielten die anderen Musiker in seiner Abwesenheit, er kehrte für den Schluss-Applaus zurück - und sprach die einzigen Worte des Abends, natürlich "Takk" sowie zwei weitere, die wir nicht verstanden.

Es gab reichlich Applaus, auch stehende Ovationen, dennoch hatte uns der Abend weniger mitgerissen als erhofft. Mit der regulären Bandbesetzung und den zugehörigen Visuals auf der Bühne (ich erinnere mich an den Film einer düsteren Bootsfahrt beim Auftritt in Stockholm) sind die Sets viel abwechslungsreicher - wobei hier auch die Songauswahl zugunsten meist ruhiger Songs einen Einfluss gehabt haben dürfte.





Setliste:

Blóðberg
Ekki múkk
Fljótavík
8
Von
Andvari
Starálfur
Dauðalogn
Varðeldur

Untitled #1 - Vaka
Untitled #3 - Samskeyti
Ylur
Skel
All Alright
Untitled #5 - Álafoss
Sé lest
Hoppípolla
Avalon


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