Neulich im Pott: Traumzeit Festival 2018, Tag 3

by - Juni 30, 2018


In den letzten Jahren habe ich zu den meisten Festivalbesuchen auch einen "Neulich beim Durchfuttern"-Beitrag geschrieben, in dem es um die vorhandenen Fressstände und die Qualität von deren Waren ging. Ich konnte diese (bei mir) beliebte Reihe beim Traumzeit Festival jedoch nicht fortsetzen, was ganz und gar nicht an der Qualität des Angebotenen lag. Nur ist das, was vor ein paar Jahren noch Anlass zu Jubel gab, mittlerweile zur Normalität geworden. Festivalessen ist eben mittlerweile häufig lecker und abwechlungsreich, das war hier nicht anders.


Es mangelte keineswegs an Auswahl. Um unsere Mahlzeiten stritten sich ein Falafelstand, ein Currywurstwagen, ein Burgerstand, ein veganer Burgerstand, diverse Wein- und Cocktailbars, ein Pizza- und ein Flammkuchenstand, eine Cafébar und viele mehr. Es gab Essen aus Italien, Thailand, dem Mittleren Osten, Deutschland und Frankreich, und die meisten Stände hatten Gerichte für Vegetarier und Veganer auf Lager.

Am Freitag kaufte sich zunächst mein Freund ein Falafel-Wrap bei Café Kasbar. Ich entschied mich für einen Jackfruit Burger von Che Vegan. Jackfruit ist ein neuer Fleischersatz-Trend, weil man dieses Fruchtfleisch zumindest optisch sehr fleischähnlich zubereiten kann. Ich hatte hinsichtlich Jackfruit keine Vergleichspunkte, aber mein Burger sah ganz hervorragend aus und schmeckte ebenso.


Am Samstag war Pizzatag: Bereits am Vorabend hatte ich viele Gäste mit sehr lecker aussehenden Mini-Pizzen gesehen, nun schlugen auch wir zu. Am Sonntag hatte ich meinen Freund eigentlich schon überredet, seinerseits einen der vielen veganen Burger von Che Vegan zu probieren - der Stand war am Abend aber bereits ausverkauft. Letztlich entschied er sich für Pommes Frites vom Bio-Stand. Ich gönnte mir einen Flammkuchen, wobei meine erste Wahl mit Spinat ebenfalls ausverkauft war, also nahm ich Hirtenkäse und Oliven.


Übrigens hatten wir bei Entdeckung der Tatsache, dass der Food Court auch für Gäste ohne Festivaltickets zugänglich sein würde, ein wenig befürchtet, dass das zu langen Schlangen führen würde. Das war überhaupt nicht der Fall. Die meisten Stände hatten stets Kundschaft, aber lange Wartezeiten gab es nirgendwo. Nur am Sonntagabend zeigte sich an so manchem Stand, dass die Vorräte mittlerweile erschöpft waren (die Mitarbeiter möglicherweise auch).

Musikalisch hatten wir am Sonntag eigentlich nur The Jesus & Mary Chain eingeplant. Nachdem wir das Gelände aber recht früh erreicht hatten, schauten wir zunächst bei dem Dänen Hugo Helmig am Cowperplatz vorbei. Das ist durchaus wörtlich zu nehmen, seine allzu seichten Popklänge vertrieben uns nämlich postwendend wieder.


Als nächsten Versuch besuchten wir Sam Fender in der Giesshalle. Der junge Brite scheint ofensichtlich bereits eine solide deutsche Fanbasis zu haben, denn vor der Bühne sah es ein bisschen aus wie beim Schulausflug eines Mädcheninternats - die ersten drei Reihen waren jung und weiblich.

Der Festivalzeitung konnten wir entnehmen, dass die Veranstalter sich gerne bei niederländischen Indie-Festivals zu Musikacts inspirieren lassen, und auch Sam Fender hatten sie beim Eurosonic-Festival in Groningen "mitgenommen" - derart große Hallen ist der Sänger sonst noch nicht gewohnt.


Seine Musik erinnerte teils an Bryan Adams, manchmal auch an Don Henley (die "Boys" im Titel seines Songs "Dead Boys" dürften hier auch einen Beitrag geleistet haben). Die Single "Play God", die als vorletztes Lied gespielt wurde, stach hinsichtlich Eingängigkeit aus dem Set heraus - definitiv der Hit des Sängers. Als letztes Lied trug er "Leave Fast" zunächst ohne seine Band vor, später gesellte sich noch der Bassist dazu.

Nicht gut gehalten hat sich die Aussage Fenders, dass er sich zwar freue, dass England sich bei der Fußballweltmeisterschaft gut schlage, dass er aber sicher sei, die Deutschen würden dem ein Ende machen. Das wissen wir mittlerweile besser.

Setliste:

Millennial
Blue Monday
All Is On My Side
Dead Boys
Start Agai
That Sound
The Change
Greasy Spoon
Play God 
Leave Fast


Anschließend absolvierten wir einen letzten Besuch in der Gebläsehalle, wo nun Lùisa auftrat. Anhand der Songliste aus dem Internet, die mein Freund vorab besorgt hatte, konnte man sich gar nicht sicher sein, welche Nationalität die Sängerin hatte, die Titel waren nämlich englisch, französisch und deutsch. Schnell stellte sich aber heraus, dass Lùisa aus Hamburg kommt.
Die junge Sängerin erzählte viel zu ihren Liedern, so drehte sich der erste Song "JLT" um ihre Oma, die wohl aus Duisburg stammte, was den Song natürlich sehr passend für das Festival machte. Viele der Lieder drehten sich um positive wie negative Träume.


Lùisa nahm bei vielen ihrer Songs das Hilfsmittel des Loopens zur Hilfe und spielte Passagen auf der Gitarre oder dem Keyboard oder auch mit ihrer Stimme ein, die dann eine ganze Weile lang wiederholt wurden und zu einer Art Bandsound führten. Ähnlich wie bei Lilly Among Clouds am Freitag war auch bei Lùisa eine gewisse Aufgeregtheit zu spüren, vielfach bedankte sie sich fürs Zuhören und dafür, dass wir überhaupt gekommen waren.

Während zu Beginn des Sets Gitarre, Percussion und Gesang dominierten, wurden die Lieder zum Ende hin elektronischer. Mit gefiel beides recht gut.

Setliste:

ILJ
L’hiver en julien
Heart met failure
?
Belong
?
The Underground
Vision


The Jesus and Mary Chain hatten wir zuletzt in der Darmstädter Centralstation gesehen... oder vielmehr gehört, denn damals hatte man so großzügig von der Nebelmaschine Gebrauch gemacht, dass die Musiker nur schemenhaft erkennbar gewesen waren. Die Nebelmaschine lief zwar auch heute bereits vor Konzertbeginn, aber das hätte man sich beinahe sparen können: Durch die Luftigkeit der Halle zog alles sofort ab, die gute Bühnensicht fürs Publikum blieb erhalten.

Vielleicht war das ja das Problem, denn irgendwie war Jim Reid an diesem Abend besonders schlecht gelaunt. Zunächst merkte man davon nichts, denn eine Spaßband oder kommunikativ sind The Jesus and Mary Chain ja so oder so nicht. Die Bandmitglieder waren weitläufig auf der Bühne verteilt, und während William Reid recht versuchte, mit den Lautsprechern hinter sich zu verschmelzen und sich Scott Von Ryper links gegenüber mit einem Ventilator die Frisur verschönern ließ, sang Jim Reid vorne in der Mitte die ersten paar Songs auf die ihm eigene Art - mit um den Arm gewickeltem Mikrophonkabel und gelegentlichen Spaziergängen zum Schlagzeug.


Wenn man schon keinen Nebel hatte, hatte man offenbar beschlossen, das Publikum zumindest mit Scheinwerfern zu blenden, aber man konnte dennoch gut erkennen, dass die Reids identische Shirts mit der Aufschrift "Damage and Joy", dem aktuellen Albumtitel, trugen.

Bei "Black and Blues" versemmelten die Musiker beim ersten Versuch den Anfang, was Jim Reid noch annähernd humorvoll kommentierte. Im Anschluss an den Song fragte er, als hinter ihm ein Roadie bei William zugange war, wütend, was genau er denn eigentlich machen müsste, um auch einmal Aufmerksamkeit zu bekommen - offensichtlich stimmte irgendetwas mit seinem Mikrophon nicht. Erst nach dem folgenden Lied "Far Gone and Out" wurde es dann hastig ausgetauscht.


Für "Just Like Honey" kam kurz Bernadette Denning, William Reids Freundin, die auch auf dem Album mitsingt, auf die Bühne und übernahm die weibliche Stimme. Auch das wirkte etwas komisch, Jim Reid stellte sie zwar vor, aber die Art, wie sie möglichst schnell auf die Bühne huschte - und nach dem Lied wieder verschwand - schien auch darauf ausgelegt zu sein, in keinem Fall Missfallen auszulösen. Das gab es dann stattdessen bei "War on Peace", als es Jim auf die Nerven ging, dass William an seiner Gitarre herumstimmte.

Die Verabschiedung durch Jim nach dem letzten Lied "I Hate Rock 'n' Roll, "I hope you enjoyed it, we did", warf dann zumindest bei mir große Zweifel auf: Auf der Bühne hatte niemand, zumindest keiner der Reids, gewirkt, als hätte er irgendetwas genossen.


Laut Interviews ist Jim Reid ja nur deshalb Sänger der Band, weil er beim Lose ziehen gegen seinen Bruder verloren hatte - keiner der beiden hatte Interesse gehabt, im Mittelpunkt der Bühne zu stehen, und Jim Reid diese ungewollte Aufmerksamkeit deshalb früher mit viel Alkohol und Drogen bekämpft. Insofern wäre eine Interpretation für das Gesehene, dass die Abwesenheit des schützenden Nebels eben tatsächlich zusätzlichen Stress ausgelöst haben könnte. Dann sollte die Band aber vielleicht Festivals generell meiden.

Musikalisch war dieses einzige Deutschlandkonzert der Band in diesem Jahr nicht zu beanstanden, dennoch entpuppte es sich atmosphärisch aus den genannten Gründen eher als ein durchwachsener Genuss.

Setliste:

Amputation
April Skies
Head On
Blues From a Gun
Mood Rider
Black and Blues
Far Gone and Out
Between Planets
All Things Pass
Some Candy Talking
Halfway to Crazy
Just Like Honey
Cracking Up
In a Hole
War on Peace
I Hate Rock 'n' Roll


Anschließend machten wir uns auf den erfreulich kurzen Weg zum Auto und entschieden: Je nach Lineup wären wir durchaus daran interessiert, das Traumzeit Festival nochmals zu besuchen. Das Ambiente in und zwischen den alten Fabrikgebäuden ist wunderschön, der Sound gut und die Größe geradezu ideal.

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