Gesehen: Juni 2019

by - Juli 24, 2019

Nach sage und schreibe fünf Jahren habe ich nun aktuell kein Sky mehr. Für den Moment stellt das kein Problem dar, allerdings wird sich zeigen müssen, wie gut der Fußballfan in meinem Haushalt damit zurecht kommt, wenn die Bundesliga-Saison wieder anfängt. Ebenfalls fehlt uns ab sofort der direkte Zugang zu den Serien des US-Senders HBO. Im Juni war das aber noch anders, und wir sahen als vorerst letzte Sky-Serie Chernobyl.


Ehrlich gesagt dachte ich vorab, die Atomkatastrophe aus dem Jahr 1986 sei ein zu deprimierendes Thema für eine Unterhaltungsserie, und ich konnte mit kaum vorstellen, wie man aus den Ereignissen überhaupt eine spannende Geschichte machen wollte - die Fakten sind ja bereits bekannt.

Das war ein Irrtum meinerseits, nicht zuletzt, weil ich, obwohl ich 1986 natürlich bereits am Leben war und die damalige Berichterstattung mitbekam, in Wirklichkeit unglaublich wenig über die Details wusste.

Die Serie beginnt 1988 mit dem Selbstmord der Hauptfigur Valery Legasov, der die Aufräumarbeiten nach dem Störfall geleitet hatte. Legasov hinterlässt Tonbandaufnahmen seiner Erlebnisse und Reaktionen, die letztlich zu einer Aufarbeitung des Unfalls führen, die zu seinen Lebzeiten nicht stattfinden konnte. Direkt im Anschluss erlebt man den Abend des Unfalls zwei Jahre zuvor, als unmittelbar nach der Erkenntnis, dass etwas Schlimmes im Kraftwerk passiert sein muss, die ersten (allesamt falschen) Maßnahmen ergriffen werden: Der Leiter des Kraftwerks leugnet viel zu lange, dass es überhaupt einen Unfall gegeben haben kann, Feuerwehrleute werden ohne Schutzmaßnahmen losgeschickt, das Feuer zu löschen und die Bewohner des Ortes Pripyat schauen sich draußen den brennenden Reaktor als Schauspiel an (und werden gewaltiger Strahlung ausgesetzt), ohne dass es jemand kümmert. Alle, die etwas zu sagen oder entscheiden haben, kümmern sich ausschließlich darum, die eigene Position zu verteidigen und gegenüber Moskau gut dazustehen - was eben dann am besten funktioniert, wenn man leugnet, dass überhaupt ein Problem besteht.

Sowohl aus historischer als auch heutiger Sicht sind es zunächst diese egoistischen Einzelreaktionen, die das Ansehen der Serie so erschütternd machen: Dass Personen in Machtpositionen offensichtliche Tatsachen leugnen, weil ihnen ihr öffentliches Image wichtiger ist als das durch ihre Lügen ausgelöste Leid, erscheint so keineswegs als Problem des Internetzeitalters mit seinen "alternativen Fakten". In diesem Kontext - was angesichts des Untertitels "What is the cost of lies?" auch Absicht ist - erscheint Chernobyl geradezu topaktuell.



Erschütternd sind allerdings auch die dargestellten Schicksale, etwa der erwähnten Feuerwehrleute und der Kraftwerksmitarbeiter, deren langwieriges, leidvolles Dahinsiechen und Sterben die Bedeutung der Katastrophe um einiges näher bringt, als das zumindest bei mir zuvor der Fall war. Zusätzlich beleuchtet die Serie einerseits die heldenhaften Leistungen einzelner - etwa die von Tauchern und Bauarbeitern, die in Kenntnis der Tatsache, dass es sie vermutlich das Leben kosten würde, dringend notwendige Sicherungsarbeiten durchführten - und zusätzlich vergleichsweise kleine Situationen, die das große Grauen erlebbar machen - zum Beispiel, wenn eine Gruppe Soldaten tagein tagaus damit zugange ist, die im Katastrophengebiet herum streunenden Hunde und Katzen abzuschießen.

Wie es bei HBO nicht anders zu erwarten ist, ist die internationale Besetzung (die Hauptrollen spielen Jared Harris, Stellan Skarsgård und Emily Watson) hervorragend. Die Macher verzichteten vernünftigerweise darauf, die Schauspieler künstliche Akzente annehmen zu lassen, und alle sprechen einfach so Englisch, wie sie es normalerweise tun. Dafür wirken die Schauplätze und Requisiten allesamt so überzeugend, dass man sich des Öfteren fragt, wie und wo man so etwas heute eigentlich drehen kann (Antwort: in einem Stadtviertel von Vilnius).

Wie gesagt, ich hätte trotz der vielen Vorablorbeeren nicht erwartet, dass mir die Serie so gut gefallen würde und ich gespannt auf jede neue Folge warten würde - aber genauso war es.

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