Video killed Communication: Massive Attack in der Frankfurter Jahrhunderthalle

by - Februar 09, 2019


Massive Attacks Musik mag ich gerne - mein Lieblingsalbum der Band aus Bristol ist zwar "Heligoland", aber als bekannt wurde, dass es eine Jubiläumstour zum 21. Geburtstag des 1998er Albums "Mezzanine" geben sollte, war ich dennoch gleich interessiert.

Konzerte, bei denen ganze Alben gespielt werden, sind ja aktuell schwer in Mode, und ich war vorab gespannt, welchen Ansatz die Band wählen würde. Ich kenne bereits:
- Album ("The Joshua Tree")  komplett, dann die größten Hits aus allen Epochen (U2) - auch gesehen bei Patti Smith ("Horses") und Darren Hayman (Hefners "Breaking God's Heart")

- Album ("Silent Alarm") komplett - aber rückwärts, anschließend Hits aus derselben Epoche (Bloc Party)

- Album ("Night Thoughts") komplett hinter einem Vorhang, auf dem Videos gezeigt werden, anschließend ein paar Hits, bei denen man die Band tatsächlich sehen kann (Suede)

- Album ("The Top") ohne Ankündigung (und vielleicht zufällig) komplett gespielt, aber quasi versteckt zwischen zahlreichen anderen Songs (The Cure)



Massive Attack wählten, das hörten wir schon vorab, als die ersten Tourkonzerte in England stattfanden, eine etwas andere Herangehensweise: Da "Mezzanine" diverse Samples und Inspirationen benutzt, wurden einfach diese ebenfalls gespielt, was zur etwas ungewöhnlichen Kombination mit Coverversionen von The Cure, The Velvet Underground, Ultravox, Bauhaus und Pete Seeger.

Ebenfalls ungewöhnlich oder zumindest ein Zeichen für größeren Aufwand: Massive Attack haben sowohl Elizabeth Fraser als auch Horace Andy bei der Jubiläumstournee dabei. Erstgenannte ist musikalisch eigentlich gar nicht mehr aktiv, letzgenannter stammt aus Jamaica, wohnt vermutlich auch dort und geht stark auf die 70 zu.


So weit zu unseren Vorab-Informationen. Beim Eintreffen in der Jahrhunderthalle begrüßte uns aber als erstes ein sehr unangenehmer, wurden wir in der ersten Stunde Wartezeit mit tiefen Basstönen  (die Art, die man im Brustkorb spürt) malträtiert. Es folgten Charthits aus dem Jahr 1998, dem Erscheinungsjahr von "Mezzanine", in einer Soundqualität, als würde jemand hinter der Bühne sie auf seinem Handy abspielen - vielleicht, um so die Absichtlichkeit und Ironie dieser ansonsten ganz schön schlimmen Playliste zu untermalen? Oder aber, es handelte sich um eine Spotify-Liste, die jemand spontan zusammengestellt hatte und nun hinter der Bühne per in Getränkedosen versenkte Ohrstöpsel verstärkte? Wir gruselten uns beispielsweise vor Chers "Believe" und Aerosmiths "I don't want to miss a thing".


Es war keine Vorband angekündigt, das Konzert sollte um 20 Uhr beginnen. Als sich die Qual-Popmusik dann deutlich länger hinzog, machte meine Umgebung erst Witze über die angebliche Zweitidentiät von Robert Del Naja als Banksy - vielleicht hatte er in Frankfurt etwas Kritisches an ein Bankhochhaus gesprüht und war nun auf der Flucht vor der Polizei? Letztlich reagierte das Publikum irgendwann beim Beginn eines weiteren Chart-Hits - ich glaube, es war Aqua mit "Doctor Jones" - mit Pfiffen. Kurz danach ging das Konzert, vermutlich nicht als Reaktion auf unser Gemaule, dann tatsächlich los. Auf der Bühne befanden sich neben den Massive Attack-Kernmitgliedern Grantley Marshall und Robert Del Naja sechs Musiker, hinzu kamen je nach Lied die Sänger.


Die Bühne blieb für das ganze Konzert weitgehend im Dunkeln. Der Blick der Zuschauer wurde so hauptsächlich auf die große Videoleinwand gelenkt, auf der Filme und Animationen des Künstlers Adam Curtis gezeigt wurden. Was gab es zu sehen? So einiges, und vielfach war es so schnell hintereinander geschnitten, dass ich es kaum verarbeiten konnte (dazwischen gab es auch Strobo-Attacken, die mich immer wieder den Blick auf den Boden richten ließen). Deutlich erkennbar waren als Themen Politik (Donald Trump wurde vielfach gezeigt, komischerweise aber wohl keine Theresa May und dafür immer wieder Tony Blair), Saddam Hussein, Vladimir Putin, die englischen Royals der 80er Jahre, Britney Spears, Massenproduktion von Plastikspielzeug, Medikamente und immer wieder Parolen, die teils wohl extra für die deutschen Konzerttermine ins Deutsche übersetzt worden waren. In den Texteinblendungen ging es auch viel um die Tatsache, dass Menschen dank Computern heutzutage sehr von ihren Interessen gelenkt werden, wenn etwa Onlineshops und auch soziale Netzwerke aufgrund vergangener Bestellungen oder Vorlieben neue Produkte oder Inhalte vorschlagen.


Warum schreibe ich so viel zu den Videos? Weil es sonst eher wenig zu sagen gibt. Die Musiker blieben wie gesagt im Dunkeln und waren eher schemenhaft auszumachen. Während ich im Vorfeld erwartet hätte, dass zumindest die Gastsängerin Elizabeth Fraser, die im Grunde aus dem Ruhestand zurückgeholt worden war, etwas in den Vordergrund gestellt werden würde, hatte ich mich geirrt: Zwischen den Liedern gab es ein schnelles und unauffälliges Kommen und Gehen, und auch Massive Attack-Mitglied Grantley Marshall war immer wieder verschwunden und bei den letzten sechs Liedern des Konzertes überhaupt nicht mehr zu sehen.


Also nochmals zurück zu den Videos: Besonders im Gedächtnis blieb das zu "Girl Dissolved" - hier hatte man nämlich einfach diverse Youtube-Cover des Songs zusammen geschnitten, die Gesangsstimme übernahm dann eine junge Frau, die das Lied in ihrem Schlafzimmer darbot (und sich seit neuestem über viele Besucher ihres vor zehn Jahren geposteten Videos freuen kann!). Zu "Where Have All The Flowers Gone", das von Elizabeth Fraser nur zur Begleitung der beiden Massive Attack-Kernmitglieder gesungen wurde, wärhend die restliche Musiker sich hinsetzten, sah man recht drastische Kriegsbilder - hier war die Aussage "In Kriegen sterben nicht anonyme Soldaten, sondern Menschen, die anderen Menschen wichtig waren" erschreckend, sehr verständlich und passte auch gut zum Lied.


Sicherlich am überraschendsten war, dass die Triphop-Band Massive Attack bei den Coverversionen von "Bela Lugosi's dead", "10:15 Saturday night" und "Rockwrok" sehr post-punkige Anwandlungen bekam. Unverständlich bleibt, dass nach dem bewegenden Höhepunkt "Teardrop" das letzte Lied "Group Four" mit einem Ausschnitt aus Aviciis "Levels" eingeleitet wurde (wie es der verstorbene Technomusiker geschafft hat, schon im Alter von 3 Jahren "Mezzanine" zu beeinflussen, werden wir wohl nie erfahren).


Das Konzert endete, wie es begonnen hatte: abrupt. Nach dem letzten Lied verließen alle Musiker die Bühne und waren weg, es gab keine Verbeugungen, keine Möglichkeit für das Publikum, die Gastsänger zu würdigen und natürlich auch keine Zugabe.

Musikalisch lässt sich an dem Abend wenig aussetzen, und man kann von Massive Attack natürlich auch nicht allzuviel Fröhlichkeit erwarten, nur erschien mir das Konzert, gerade auch als mit sichtlich einigem Aufwand geplante Jubiläums-Show, dann doch erstaunlich "freudlos".
 

Setliste:

I found a reason (The Velvet Underground Cover)
Risingson
10:15 Saturday night (The Cure Cover)
Man next door
Black milk
Mezzanine
Bela Lugosi's dead (Bauhaus Cover)
Exchange
See a man's face (Horace Andy Cover)
Dissolved girl
Where have all the flowers gone? (Pete Seeger Cover)
Inertia creeps
Rockwrok (Ultravox cover)
Angel
Teardrop
Group four

You May Also Like

0 comments