Es sieht aus, als hätte mein Haushalt eine neue Corona-Tradition begonnen: Im Sommer, zwischen den Lockdowns, sehen wir uns ein Open Air-Konzert von Thees Uhlmann an. Letztes Jahr besuchten wir den Musiker bei glühender Hitze am Kölner Tanzbrunnen, dieses fuhren wie nach Bonn, wo unter dem Namen KUNST!RASEN eine Konzertreihe in den Rheinauen stattfindet. Das Konzept erinnert an andere, die wir bereits in viel größer gesehen hatten (beispielsweise in Rom oder auch im Londoner Hyde Park): Bühne, Getränke- und Fressstände werden einmal aufgebaut, dann treten hier über mehrere Wochen verschiedene Künstler auf. "Verschieden" ist in diesem Fall durchaus ernst zu nehmen, neben Thees Uhlmann könnte man hier beispielsweise auch Jan Delay sehen. Oder Olaf Schubert. Oder Roland Kaiser.
Die Karten, die wir ursprünglich im Vorverkauf erworben hatten, waren für Stehplätze gewesen. Ganz so liberal waren dann aber auch die nordrhein-westfälischen Corona-Maßgaben nicht: Zwischenzeitlich erhielten wir die Aufforderung des Veranstalters, die Tickets online in Sitzplatzkarten umzutauschen, der wir selbstverständlich nachkamen. Wir ergatterten sogar Karten für die zweite Reihe, direkt vor der Bühne.
Anders als beim Kölner Konzert hatten wir am Montagabend auch keine Angst wegen zu großer Hitze, es sah eher nach Regen aus - der aber zum Glück wegblieb. Bei nicht zu warmen und nicht zu kalten Temperaturen waren die Open Air-Bedingungen eigentlich ideal, - zumindest, wenn man nicht in der Absicht gekommen war, etwas zu essen, denn das Gelände hatte genau einen Fressstand zu bieten, an dem sich bei unserer Ankunft bereits eine beachtliche Schlange gebildet hatte. Glücklicherweise hatten wir ohnehin bereits gegessen, und die Getränkeschlange erwiese sich als deutlich flotter.
Nachdem auf den Tickets nur "19 Uhr" gestanden hatte und auch die Website keine weiteren Informationen geboten hatte, hatte ich am Vortag noch den Veranstalter angemailt und erfahren, dass der Einlass für 18:15 und der Beginn für 19:30 Uhr angesetzt war. Und tatsächlich stand Thees Uhlmann samt einer beeindruckend großen Band um 19:31 Uhr auf der Bühne. Während er 2020 wegen auch auf der Bühne geltenden Abstandsegeln nur mit zwei weiteren Musikern unterwegs gewesen war (Simon Frontzek und Rudi Meier waren auch an diesem Abend wieder dabei), fuhr er nun ein weit größeres Arrangement auf: Man war zu siebt.
Das führte auch dazu, dass Uhlmann des öfteren beim Musizieren keine Gitarre benötigte - außer ihm standen schließlich noch ein Gitarrist und eine Gitarristin auf der Bühne - und dann eben beim Singen lustig herumtanzte. Mein Freund war der Meinung, das hätten wir schon gesehen, mir erschien es höchst ungewöhnlich (Marcus Wiebusch sensibilisierte mich einst mit den Konzertansagen bei seinen ersten Soloauftritten für die Tatsache, dass man, wenn man keine Gitarre umhängen hat, für seine Arme irgendeine andere Beschäftigung finden muss). Eine Pose, in der er sich dabei offensichtlich besonders wohl fühlte, und zu der er immer wieder zurück kehrte, war dabei die in die Luft gereckte Faust.
Uhlmann selbst kommentierte die Publikumsreaktion auf seine Tänze mit "bisschen Mitleid, bisschen Bock auf die Band" - was sich nach seinen Worten auch gut als Motto des Abends eignete. Der Bock auf die Band war dabei durchaus groß, bereits nach dem ersten Lied "Junkies und Scientologen" standen quasi alle Besucher von ihren Sitzplätzen auf und verfolgten das Konzert fortan stehend oder tanzend.
Auch sonst waren die Ansagen, wie ja immer bei Uhlmann, erinnerungswürdig: Einem schlechten Witz folgte beispielsweise eine etwas abstrusen Geschichte über gute, mittlere und schlechte Witze, die wartend im Flugzeug um die Welt fliegen, bis sie irgendwo abgeworfen werden, und er setzte nach: "Ich habe kein LSD genommen, das ist meine wirkliche Meinung!"
Eine klare, ernsthaftere Aussage gab es auch bei dem Tomte-Lied "Die Schönheit der Chance", das er allen Kulturarbeitern widmete, die es dieses und letztes Jahr schwer hatten, und die dennoch den Mut hatten, Veranstaltungen wie den Kunstrasen zu versuchen. Anscheinend ist man dabei auch mit Klagen von Anwohnern konfrontiert, die sich wegen des Lärms sorgen - diesen empfahl Uhlmann, sich in Rage redend, doch einfach in seinen niedersächsischen Provinz-Heimatort Hemmoor zu ziehen, dort sei unter Garantie nie etwas los. Den Song trug Uhlmann im übrigen solo vor, er dürfte die Anwohner also besonders wenig gestört haben.
Viele der Ansagen konzentrierten sich auch auf den Ort des Abends Bonn, das Uhlmann, genau wie ich, in seiner Kindheit noch als Bundeshauptstadt erlebt hat und deshalb als Zentrum des "alten Westens" empfindet. So empfahl er Fußballfans, auch mal zu grölen, dass sie aus dem Westen seien, und erinnerte sich an den Besuch einer Martin Kippenberger-Ausstellung in der Bundeskunsthalle.
So individuell die Ansagen und Geschichten auch waren: Wenn ich die Setliste mit der von vor einem Jahr vergleiche, gibt es nur sehr wenig Unterschiede (was auch kein Wunder ist, Uhlmann hatte ja bislang wenig Gelegeneheit, sein 2020er-Album live zu spielen). Dieses Mal gab es keine Lesung, weder aus dem eigenen Roman noch aus seinem Buch über die Toten Hosen, und von letzteren auch keine Coverversion. Dafür hatten es vier Lieder mehr auf die Setliste geschafft, beispielsweise das neue "Club 27", dessen Text von Benjamin von Stuckrad-Barre stammt.
Zwei Besucher bekamen an unterschiedlichen Stellen des Sets von der Bühne aus das Versprechen, sie könnten sich am Merchandisestand kostenlos ein T-Shirt aussuchen, weil die Shirts, die sie bereits anhatten, Uhlmann so gut gefielen Es handelte es sich im ersten Fall um ein Shirt der Band Pascow, die das Konzert des Vorabends in Trier organisiert hatte, im zweiten freute sich Uhlmann über einen anwesenden Iron Maiden-Fan - und spielte auch einige Takte eines Heavy-Songs an.
Ernst wurde es wieder zu "Avicii", vor dem Uhlmann erzählte, in Hemmoor sei er einmal von seinem Vater mit einer Verletzung zum Tierarzt gebracht worden (das Thema ärztliche Versorgung müssten lärmempfindliche, umzugswillige Bonner vielleicht noch recherchieren) und es sei wichtig, auch mit psychischen Verletzungen zum Arzt zu gehen.
Den Zugabenteil startete Uhlmann mit "Römer am Ende Roms" und war dafür zunächst allein mit dem Keyboarder auf der Bühne. Nach dem Tomte-Hit "Ich sang die ganze Zeit von dir" gab es als Rausschmeißer noch - wie in Köln auch "Ein Satellit sendet leise", bevor das Konzert pünktlich um 21 Uhr beendet war. Da kann sich ja nun wirklich kein Anwohner beklagen - und wenn doch hatte Thees auch eine Lösung parat: Wenn er verklagt werden sollte, würde er einfach zur Kostendeckung noch ein Konzert in Bonn spielen.
Setliste:
Danke für die Angst
Die Toten auf dem Rücksitz
Zugvögel
Das Mädchen von Kasse 2
Ich bin der Fahrer, der die Frauen nach HipHop Videodrehs nach Hause fährt
Was wird aus Hannover
Club 27.
17 Worte
Die Schönheit der Chance
New York
& Jay-Z singt uns ein Lied
Fünf Jahre nicht gesungen
Avicii
Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf
Ich sang die ganze Zeit von dir
Ein Satellit sendet leise