Größer ist nicht immer besser: Maifeld Derby 2013, Tag 1

by - Juni 03, 2013

Irgendwie war es zu befürchten: Zwei Jahre war ich beim Mannheimer Festival Maifeld Derby, somit von Anfang an dabei, und stets hatte ich, neben ein paar Jammereien über vegetarisches Essen, nur Positives zu vermerken. Dieses Jahr wurde das Festival von zwei auf drei Tage gestreckt, und was soll ich sagen: Die Flitterwochen sind vorbei.


Für das Wetter, das man sich Anfang Juni doch etwas anders vorgestellt hätte, können die Veranstalter selbstverständlich nichts. Dass wir am Freitag beim Einlass eine gute Stunde im Regen warten mussten und möglicherweise immer noch dort stünden, hätten wir nicht irgendwann beschlossen, wie alle anderen auch zu drängeln, spricht allerdings für schlechte Organisation. Sowohl die Camping-Gäste als auch die Inhaber eines Print@Home Tickets mussten einzeln mühsam in Listen nachgeschlagen werden, eine Schlange für diejenigen, bei denen all das nicht nötig war, existierte aber nicht, und so lief alles schleppend langsam. Hinzu kam, dass die stolzen Bändcheninhaber sich durch die immer noch Wartenden Richtung Einlass drängeln mussten. Dort erfuhr man dann, dass es, anders, als im Internet offiziell mitgeteilt, doch nicht erlaubt war, Plastikflaschen mit aufs Gelände zu nehmen. Durch die tonnenweise gesammelten Einwegflaschen dürften zusätzlich Hunderte Euro Pfandgeld eingenommen worden sein - aber ich will hier keine Verschwörungstheorien spinnen.


Spezialevents wie ein gemeinsames Mittagessen mit Überraschungsband, die dem Festival einen besonders familiären Charakter verliehen, schien es in diesem Jahr nicht zu geben. Neu eingeführt wurde dagegen der "Derby Taler", mit dem man Getränke bezahlen muss, für Essen gilt er aber nicht. Stichwort Essen: Eigentlich wollte ich nicht schon wieder über den Mangel an vegetarischen Optionen jammern, aber wenn es im Rahmen der stark beworbenen Nachhaltigkeit des Festivals ausdrücklich heißt, es gebe einen "hohen Anteil vegetarischer Speisen im Festival- und Backstage-Catering" man vor Ort aber etwa dieselben wenigen Angebote wie in den Vorjahren findet und nach wie vor neun Zehntel der Essensoptionen fleischhaltig sind, finde ich das doch ziemlich armselig.

Armselig fiel in diesem Jahr auch die aus Vorjahren bekannte Lichtinstallation aus. Statt leuchtenden Bällen wurden nur ein paar Bäume mit Ikea-Lichterketten versehen. Und warum nur hatte man noch am Vortag im Internet bekannt gegeben, das Mitbringen von Gummistiefeln sei überflüssig, da das Gelände eine Drainage habe? Spätestens mit dem Durchlaufen hunderter Festivalgäste bildeten sich schnell tiefe Pfützen, die ich nur sehr ungern in Turnschuhen durchquert hätte.


Irgendwann waren wir also tatsächlich Bändcheninhaber, wenn auch durchnässt und ohne Getränke. Nichts wie schnell ins Zelt, wo der Auftritt von Daughter bereits begonnen hatte. Das Londoner Trio, live um einen Keyboarder erweitert, war von den Veranstaltern mit besonderer Begeisterung angekündigt worden.  Auf ihrem Debütalbum hatten sie mich mit Liedern beeindruckt, die mich so traurig stimmten, dass ich das Anhören eher vermeiden musste. Live war das besser, zumal die Band an sich einen ausgesprochen freundlichen Eindruck machte - gar nicht so depressiv, wie mir das Album vermittelt hatte. Gitarrist Igor nutzte zeitweise, zum Beispiel bei "Still", einen Geigenbogen auf seinem Instrument.


Viel mehr kann ich zu diesem Auftritt auch gar nicht sagen, denn wir hatten nicht nur den Anfang verpasst, was es erschwerte, sich einzustimmen, sondern "mussten" auch noch vor dem Ende weiter.

Setliste (Quelle: Konzerttagebuch):

Winter
Candles
Love
Amsterdam
Still
Landfill
Human
Tomorrow
Youth
Home


Im Parcour d'Amour, der in seinem Alltagsleben eine überdachte Tribüne zum Verfolgen von Reitveranstaltungen ist, und der von den Derby-Organisatoren wir bereits in vergangenen Jahren mit aufgehängten Stoffherzen als entschleunigte Nebenbühne für intimere Konzerte vorbereitet worden war, sollten Sea + Air auftreten. Das Duo aus Stuttgart, dessen Name und Debütalbum "My Heart's Sick Chord" eine gewisse Vorliebe für Wortspiele aufzeigt, war bei unserem Eintreffen noch mit dem Soundcheck beschäftigt, trat dann noch einmal ab, um den Auftritt dann sehr theatralisch mit dem synchronen Abbrennen von Streichhölzern zu eröffnen.


Eleni saß und sang meistens am Cembalo, während Daniel Gitarre und Schlagzeug bediente, beim Peter Gabriel-Cover "Mercy Street" wurden die Plätze und Instrumente getauscht. Die Single "Do Animals Cry", die auch in der veröffentlichten Version eine "rockige" Stelle hat, wurde in der Livevariante geradezu zur Headbanging-Vorlage. Auch "Yeah I Know" wurde von Daniel als Stadionrock angekündigt, allerdings hielt das Publikum das geforderte Einklatschen und Mitsingen nicht allzu lange durch.


Mit "Heart of the Rainbow", zu dem Daniel langsam ein "Herz", das in Wirklichkeit ein pinker Dusch-Schwamm war, enthüllte (Hätte er da nichts besseres finden können? In diesem Parcours hingen überall Dekoherzen!) endete das Set, das wegen Soundcheck am Anfang und strenger Organisation am Ende deutlich kürzer als die angesetzten 50 Minuten ausfiel - es dürften wohl um die 30 gewesen sein. Schade, denn eigentlich spielte und agierte das Duo sehr unterhaltsam.

Setliste:

Take me for a Ride
Dirty Love
Do animals cry
Mercy Street
Yeah I Know
Dig
The heart of the rainbow


Für uns bedeutete das Ende: Im Stechschritt durch die Pfützen zurück ins Palastzelt, denn hier sollte mit CocoRosie der erste Headliner des Abends auftreten. Vorab gab es eine Durchsage, laut der die Schwestern Casady ihren Auftritt abbrechen würden, wenn im Zelt weiterhin geraucht würde. Nachdem das natürlich nicht eingehalten wurde (manche Raucher verstehe ich einfach nicht), wartete ich die ganze Zeit ängstlich ab, ob die Drohung umgesetzt würde, was zum Glück nicht passierte. Überhaupt, dieses Publikum! Meine direkte Nachbarin beschwerte sich lauthals, dass so viele Leute weit vorne seien, die gar nicht tanzen wollten (um mich dann bei ihrem eigenen Ausdruckstanz ständig zu rempeln), unterhielt sich aber die meiste Zeit extrem laut mit ihren Begleitern. Überhaupt war der Geräuschpegel um mich herum die meiste Zeit unerträglich, was wieder einmal die Frage aufwarf, warum sich diejenigen, die sowieso bloß reden wollen, das nicht einfach draußen erledigen.


Bei CocoRosie sind die Outfits ja immer besonders erwähnenswert. Sierra hatte beschlossen, über ihrem silbernen Rock und gelben Shirt schwarze Spitzenunterwäsche zu tragen. Und sie dürfte wohl die einzige Person der Welt sein, die mit einer Unterhose überm Rock nicht sonderlich auffällt, weil ihre Schwester Bianca gleichzeitig eine lange Männerunterhose mit Eingriff, ein Glitzertop mit BH obendrüber, ein Holzfällerhemd, einen Mantel, eine fast bodenlange Dreadlockperücke, ein Kopftuch und eine Art Geweih trug. Das Ganze wurde mit einem Grusel-Make-up abgerundet, das an den Joker aus Batman erinnerte. Bei manchen Liedern verschleierte sie sich zusätzlich mit einem weißen Tuch.

Wie beinahe immer, hatten CocoRosie den Beatboxer Tez dabei, der sie bei vielen Liedern unterstützte, und auch ein stark bejubeltes Solo bekam. Zusätzlich hatten CocoRosie neben zwei weiteren Musikern als "special guest" eine Avantgarde-Tänzerin aus Brooklyn mitgebracht, deren wilder Auftritt sicherlich volle drei Minuten dauerte.


Musikalisch konzentrierte sich die Setliste aufs aktuelle Album "Tales of a GrassWidow", die gerade bei einem Festival erwarteten Hits von vorherigen Veröffentlichungen blieben aus. Sierra konzentrierte sich neben ihrem opernartigen Gesang auf Harfe und Keyboard. Beim Singen streckte sie meist ihre Arme dramatisch von sich oder lief hyperaktiv auf der Bühne herum und stieg auf die Monitorboxen am Bühnenrand. Bianca spielte Querflöte und eine Pungi.

Mein mittlerweile drittes CocoRosie-Konzert war wieder einmal eine völlig andere Erfahrung als die voraus gegangenen Auftritte - und trotz des Hintergrundlärms musikalisch sehr gut.


In einer kurzen Verschnaufpause hatten wir Gelegenheit, auf der Open Air-Bühne kurz ins Set von Dry The River hereinzuhören. Die Musik konnte mich nicht sonderlich packen, war aber zumindest für einige Witze nach dem Motto "Warum trocknen die nicht mal die Flüsse, die hier quer übers Gelände laufen?" gut.


Zurück im Zelt konnten wir uns zur Abwechslung frühzeitig für The Notwist einfinden. Bei Konzerten bekommt man ja immer nur seine direkte Umgebung mit, aber meinem subjektiven Eindruck nach war das Publikum nun deutlich erträglicher als bei CocoRosie, so dass einer vollen Konzentration aufs Bühnengeschehen nichts im Wege stand.

Markus Acher und Martin Kretschmann (der seine Elektronik wieder einmal mit Wii-Controllern bediente) standen vorne auf der Bühne, Acher sagte für das ganze Konzert nur zwei Dinge: Zu Beginn  „Hallo, wir sind Notwist und freuen uns, hier zu sein“ und am Ende „Tausend Dank“ .


Die Setliste konzentrierte sich auf die beiden Alben "Neon Golden" und "The Devil, You + Me". Im Gegensatz zum Konzert, das ich letztes Jahr in Düsseldorf gesehen hatte, war die Ausstattung auf der Festivalbühne natürlich spartanischer und wies weder Bläser noch ein Vibraphon auf. Die präsentierten Song-Versionen waren sehr lärmig-gitarrig, aber auch tanzbarer als im Oktober. Highlights waren "Gloomy Planets" und natürlich "Pilot", das in "Different cars and trains" über- und wieder zurückging. Sogar eine Zugabe bekamen wir: Die Band kehrte für "Consequence" und erneut "Tausend Dank" noch einmal zurück.


Setliste (Quelle: Konzerttagebuch):

Hands
Boneless
One with the freaks
Pick up the phone
Where in this world
This room
Casino
? (neu?)
On planet off
Gloomy planets
Neon golden
Different cars and trains
Pilot
Gravity

Consequence


Musikalisch hatte der Freitag trotz verschiedener Ärgernisse - auch die langen Schlangen bei Essens- und Getränkeausgabe waren aus früheren Jahren ungewohnt und keine Verbesserung - viel zu bieten und ließ mich dem restlichen Wochenende dann doch eher positiv entgegen blicken.

Fortsetzung folgt!

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