Neulich im Norden Irlands

by - September 13, 2018

Drumcliff
Im August unternahm ich einen elftägigen Wanderurlaub in den Norden Irlands. Ich bin nach früheren ähnlichen Reisen in den englischen Lake District und nach Cornwall mit Großbritannien noch lange nicht durch, aber es lag mir am Herzen, den Norden Irlands noch vor dem Brexit 2019 zu besuchen.

Bei meiner ersten Irlandreise 1990 - meiner ersten Auslandsreise ohne Eltern und auch meiner ersten Flugreise überhaupt - wären wir nie auf den Gedanken gekommen, in Betracht zu ziehen, auch den Norden zu besuchen, denn er galt als gefährlich. Und auch während meines Au Pair-Jahres in London 1992/93 war die Angst vor Anschlägen durch die nordirische IRA noch allgegenwärtig und zeigte sich, wann immer in der U-Bahn ein Gespäckstück unbeaufsichtigt erschien (heute ist das wegen IS-Terroristen wieder genauso, aber das ist eine andere Geschichte).

Ballina
Donegal


Nun erscheint die politisch geteilte Insel schon seit vielen Jahren friedlich, und wenn man die Grenze zwischen der Republik und Nordirland übertritt, merkt man das quasi überhaupt nicht. Aber wie lange bleibt das noch so, wenn diese Grenze demnächst vielleicht wieder deutlicher wahrnehmbar wird? Ich wollte den Norden lieber jetzt noch kennenlernen.

Meine gebuchte Wanderreise bot quasi ein Rundumpaket des Nordens: Vom Flughafen Dublin wurde meine Reisegruppe zunächst nach Ballina an der Westküste transportiert, weiter ging es ins touristisch recht bekannte Donegal. Anschließend verbrachten wir ein wenig Zeit an der Nordküste in Downings und besuchten unter anderem die kleine Insel Tory Island, erst danach ging es in den politischen Norden und zum Schluss wieder in der Republik angekommen, nach Dundalk.

Da ich eben unbedingt in den Norden Irlands wollte und auch keine Alternativen zu dieser Rundreise finden konnte, nahm ich in Kauf, dass sie bezüglich der Konditionsanforderungen etwas über dem lag, was ich normalerweise gewöhnt bin. In meinem Alltag gehe ich zwar relativ viel zu Fuß, aber darüber hinaus treibe ich, von ein bisschen Yoga abgesehen, aktuell keinen Sport. Der Unterschied zu den vorher absolvierten Reisen war nicht riesig, dennoch machte ich mir ein wenig Sorgen, in einer Reisegruppe mit lauter Supersportlern zu landen und diesen dann frustriert hinterherzuhecheln.

Los ging meine Reise am 11. August, und dass die Zahl der Menschen, die Wanderreisen auf die britischen Inseln unternehmen, wahrscheinlich klein ist, zeigte sich daran, dass ich am Flughafen Frankfurt bereits zwei Mitreisende erkannte, mit denen ich bereits im Lake District gewesen war.

Ben Bulben


Die Reise verlief ähnlich zu denen, die ich vorher unternommen hatte: Man aß morgens und abends gemeinsam im jeweiligen Hotel, tagsüber führte die Reiseleiterin die angekündigten Wanderungen, zu deren Startpunkten wir mit dem Reisebus gefahren wurden (der uns dann auch wieder abholte). Viel Zeit blieb am Rande dieses Programms nicht übrig, so dass es fast in Stress ausartete, wenn ich die Schwimmbäder, über die manche der Hotels verfügten, zwischen Wanderung und Abendessen nutzen wollte.

Hinsichtlich der Konditionsanforderungen kam ich letztlich ziemlich gut zurecht. Nur bei der allerersten Wanderung, der Besteigung des Ben Bulben, dessen eigentlich bescheidene Höhe von 527 Metern quasi in einem einzigen Aufstieg bewältigt werden musste, kam ich doch sehr aus der Puste, danach war ich anscheinend eingewandert.

Neu für mich war das System der Rundreise, meine vorherigen Wanderreisen hatten als sogenannte Standortreisen in nur einem Hotel stattgefunden, von dem aus man sämtliche Ausflüge unternahm. Das hat, wie ich feststellen musste, durchaus seine Vorteile, denn die Hotels der irischen Rundreise waren größtenteils auf Reisegruppen ausgerichtet, die maximal drei Nächte blieben. Das zeigte sich häufig bei der Auswahl und Qualität des Essens - mehr als einmal sah ich, wie das bestellte Essen der regulären Restaurantgäste an meinem Tisch vorbeigetragen wurde und um einiges attraktiver wirkte als das, was die Gruppe bekam.

Tory Island

Downings

Für mich als Vegetarierin zeigte sich auch nach wenigen Tagen, dass es zwar stets eine vegetarische Menü-Option für mich gab, diese war aber sehr vorhersagbar: Meine Vorspeise war quasi immer Gemüsesuppe, das Hauptgericht asiatisches Pfannengemüse oder ein Nudelgericht. Dafür bekamen die Fleischesser mit wenigen Ausnahmen jeden Tag als Beilage Kartoffelpürree... der Busfahrer, der dieselbe Tour zum dritten Mal absolvierte und mit uns in den Hotels wohnte, hatte bereits eine Kartoffelbreiphobie entwickelt und bat meistens energisch um etwas anderes.

Bei den vorausgegangenen Standortwanderreisen hatte ich mich nie als Hotel(essens)gast zweiter Klasse gefühlt, aber es leuchtet eigentlich ein, dass sich Hotels mehr Mühe mit Reisegruppen geben, wenn diese eine ganze Woche lang bleiben - hier muss man mehr Wert auf die Zufriedenheit der Gäste und somit des buchenden Reiseveranstalters legen, und die Chancen auf ein Trinkgeld stehen auch besser.

Slieve Leagues



Nach dem Ben Bulben kletterte ich in den folgenden Tagen auf den Klippen Slieve Leagues herum, wanderte um das Museumsdorf Glencolumbkille (dort gab es anscheinend ebenfalls Klippen, die ich aber dank Nebel und Regen auch in direkter Nähe nicht zu Gesicht bekam), bestieg den Mount Errigal und umwanderte bei strahlendem Sonnenschein Tory Island.

Erst dann stand der erste Besuch im Vereinigten Königreich in Form eines Tagesausflugs nach Derry an, am nächsten Tag folgten die größte nordirische Touristenattraktionen  - die Basaltsäulen des Giant's Causeway und das benachbarte Dunluce Castle - und anschließend ein Aufenthalt in Belfast.

Dunlace Castle

Giant's Causeway

In (London-)Derry und Belfast zeigte sich auch bei oberflächlicher Betrachtung sofort, dass die "Troubles" zwischen Unionists und Republicans, die seit dem Karfreitagsabkommen von 1998 zumindest keinen Ausdruck mehr in Bluttaten finden, alles andere als vergeben und vergessen sind. Während es in Derry plakative Denkmäler und Wandgemälde wie die "Free Derry Corner" gibt, die eine strikte Trennung zwischen Unionisten und Republikanern unterstreichen, ist Belfast gar von Mauern gezogen, die die Wohngebiete der jeweiligen Gruppen trennen - und die auf Wunsch beider Seiten nicht abgerissen werden. Die Mauern und auch zahlreiche andere Wände erinnern mit Wandegemälden an die Helden der jeweiligen Seiten sowie an politische Konflikte anderer Länder, mit denen man sich identifiziert (die nordirischen Katholiken identifizieren sich beispielsweise mit Palästina, die Protestanten dementsprechend mit Israel).

Insgesamt hinterließ nich mein Besuch des politischen Nordens nicht gerade optimistisch im Hinblick auf den Brexit, denn alles sieht so aus, als fehlte nur ein Funke, um die alten Konflikte wieder auflodern zu lassen. Hoffentlich kommt es nicht wirklich so.

Derry / Londonderry


Auf den Besuch im Vereinigten Königreich folgten noch einige Tage im Nordosten der Republik Irland, mit weiteren Wanderungen, mehr Gemüsesuppe und Kartoffelpürree und dem Besuch eines Dolmengrabs, das sich überraschenderweise auf einem Golfplatz versteckt hatte. Dann war es schon wieder Zeit, nach Hause zu fliegen, für mich nicht ohne den vagen Plan, vielleicht in Zukunft noch weitere mir unbekannte Gegengen Irlands zu besuchen.

Punk-Schafe

Proleek Dolmen

Ich hatte einen tollen und erholsamen Urlaub - die Kombination von Bewegung draußen, schöner Landschaft und "sich um nichts selbst kümmern müssen" empfand ich wie stets als sehr entspannend. Letztlich war die Sache mit den meist etwas unengagierten Hotels dann auch ein eher kleines Ärgernis, das ich auch in Zukunft nochmals in Kauf nehmen würde, wenn ich wieder eine Rundreise in Betracht ziehe. Schade war, dass bei einigen Wanderungen "mit Aussicht" selbige hinter Nebelwänden verborgen blieb - aber dass bei einem Irlandurlaub das Wetter nicht immer mitspielt, ist nun auch keine Überraschung.

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