Im letzten November wollte ich ein Morrissey-Konzert in Essen besuchen. Letztlich klappte das wegen Terminschwierigkeiten dann doch nicht, die Tickets landeten bei eBay, und die Tournee des Sängers verlief ohne mich. Ich dachte, die Geschichte sei gegessen und machte mir ein wenig Gedanken, ob ich Morrissey wohl überhaupt noch einmal live sehen würde können, da gab es plötzlich einen Nachholtermin im niederländischen Tilburg - zweimal bereits hatte dort das geplante Morrissey-Konzert nicht stattfinden können, und am Samstag sollte der dritte Versuch angegangen werden - und es gab sogar noch Karten für Spontankäufer.
Nach immerhin zweieinhalbstündiger Anreise erreichten wir die Konzerthalle, vor der bereits hartgesottenere Fans im strömenden Regen warteten (möglicherweise zum dritten Mal!), während wir bis zum Einlassbeginn schnell noch etwas essen gingen. Von innen erwies sich der Zuschauerraum als recht überschaubar, er fasste vielleicht 2000 Besucher, die durch den nach hinten ansteigenden Publikumsbereich größtenteils eine gute Sicht hatten.
Statt einer Vorband gab es nur einen DJ, der sein Handwerk bereits in der Aula verrichtet hatte, und so begann der Morrissey-Abend mit der üblichen Zusammenstellung von Filmchen und Musikvideos, wobei viele sicher bei deren Beginn aufatmeten und sich dachten, dass nun letzte Zweifel daran, ob das Konzert im dritten Versuch stattfinden würde, ausgeräumt seien. Die Videoshow begann mit den Ramones, enthielt wie immer die von Manfred Sexauer angekündigten New York Dolls und ansonsten zahlreiche tanzende Männer.
Nach einem schier endlosen vorgelesenen Text kamen Moz und Band auf die Bühne. Die Bandmitglieder waren als Oberbekleidung alle in magentafarbene Hemden und Hosenträger gekleidet, Morrissey selbst trug eine 50er Jahre Jeans und ein vorne geschlossenes Hemd mit V-Ausschnitt, das farblich zu den Bandhemden abgestimmt zu sein schien, sowie ein Kilo Halsketten, Ringe und ein Pflaster am Finger. Sänger und Band verbeugten sich zunächst voreinander, bevor sich jeder an seinen Arbeitsplatz begab und das Set mit "What She Said" (mit darunter gemischten Passagen aus "Rubber Ring") und "Suedehead" begann.
Falls Besucher mit einem Statement Morrisseys zu den beiden ausgefallenen Konzerten gerechnet hatten, warteten sie umsonst. Stattdessen begrüßte er uns mit "Very nice to be in this illustrious opera house, I don't deserve it. - Don't worry we are all classically trained." Später erklärte er noch: "If my voice occasionally breaks ... well, it's legal!" und sagte ansonsten nicht viel, wobei seine Grundstimmung offensichtlich freundlich war. So schüttelte er beim Singen zahlreiche Hände, am sichtbarsten die eines auf den Schultern eines Elternteils getragenen kleinen Jungen, und nahm etliche Geschenke entgegen. Nur das selbstgemalte Portrait eines Zuschauers direkt vor mir wurde immer wieder vergeblich in die Luft gehalten, was selbst mich wegen des hier sicherlich stattfindenden emotionalen Stresses ganz nervös machte.
Ich mag Morrissey ja sehr gerne - das Konzert in Tilburg war immerhin mein viertes, und ich habe mich sogar durch seine Autobiographie gequält. Dennoch kann man mich natürlich bei weitem nicht als Hardcore-Fan bezeichnen, was sich insbesondere an meiner mangelnden Kenntnis der Setliste vom Samstag bewies - denn weder kenne ich mich besonders gut im Smiths-Werk aus, noch habe ich das aktuelle Album "World Peace Is None Of Your Business" mehr als ein paar Mal gehört. So gab es dann eine für mich überraschend große Zahl von Liedern, die ich nicht oder kaum kannte.
Um so größer war meine Freude, als nach einigem Neuen und "Certain People I know" "I'm Throwing My Arms Around Paris" angestimmt wurde. Dass mit "To give (is the reason I live)" eine Coverversion von Frankie Valli zum Besten gegeben wurde, fiel mir peinlicherweise gar nicht auf, dafür konnte ich mich an das leider nicht sonderlich dolle "Scandinavia" noch gut aus Dublin erinnern. Komisch, dass Moz dieses Lied live so gerne zu singen scheint, es aber nicht mit auf sein aktuelles Album genommen hat.
Mit "Life is a Pigsty" folgte wenig später ein weitere Klassiker, den sogar ich kannte, davor hatte "Speedway" eine regelrechte Pause gehabt, in der die Bühne in Schwarz getaucht wurde, die mit dem Einsetzen der Motorsäge beendet wurde. Nach dem Smiths-Klassiker "Stop me if you think you've heard this one before" folgte ein kleines Tierschutz-Special. Während bei den letztjährigen Konzerten im Hintergrund zu "The bullfighter dies" anscheinend echte Stierkampfbilder gezeigt worden waren, gab es in Tilburg nur ein gezeichnetes Bild zu sehen. Dafür hätten die Tierquälereifilme (misshandelt wurden unter anderem Kühe, Schweine und Küken) die zu "Meat is Murder" gezeigt wurden, kaum expliziter sein können. Da ich bereits Vegetarierin bin, beschloss ich, dass ich nicht zuschauen muss, aber Morrissey zeigte während des Songs immer wieder auf die Leinwand. Neu war in dieser sehr langen und fulminant endenden Version des Songs auch die Nennung von KFC in einer Aufzählung von Vernichtungslagern.
Nach zwei weiteren neuen Songs ("People are the same everywhere" und "World peace is none of your business", dessen Refrain am Ende der Pianist auf Spanisch wiederholte) und einer ausführlichen Bandvorstellung bekamen wir nur noch die knappe Mitteilung "You can go home now", dann war Morrissey so schnell weg, dass seine Band zunächst etwas ratlos zurückblieb, dann aber auch abzog. Eine Zugabe gab es dann aber noch, und zwar das wunderbare "Everyday is like Sunday". Hier zeigte sich, dass Herr Morrissey wohl wirklich gut aufgelegt war, denn als eine Dame aus dem Publikum zu ihm auf die Bühne klettern wollte und dabei von einem Ordner zurückgedrängt wurde, sagte Moz irgendwann "It's ok" und ließ sich umarmen. Dann zog er das für die Zugabe extra gewechselte Hemd aus und warf es ins Publikum, um dann doch sehr schnell einen Abgang zu machen, bei dem es dann auch blieb.
Von meinen vier Morrissey-Konzerten war Tilburg ganz klar ... das viertbeste. Während der Tournee standen auf der Setliste auch häufig "The Queen Is Dead" und "Irish Blood, English Heart", die ich auch sehr gerne gehört hätte. Aber bereut habe ich den Besuch trotzdem nicht. Außerdem war es schön, zu sehen, dass Morrissey momentan erstens relativ gesund und zweitens vergleichsweise gut gelaunt zu sein scheint.
Setliste:
What she said
Suedehead
Staircase at the university
Istanbul
Kiss me a lot
Certain people I know
I'm throwing my arms around Paris
Neal Cassady drops dead
One of our own
To give (is the reason I live)
Scandinavia
Speedway
Life is a pigsty
Stop me if you think you've heard this one before
The bullfighter dies
Meat is murder
People are the same everywhere
World peace is none of your business
Everyday is like sunday