Der Abend in der Brotfabrik beginnt deprimierend – nur maximal dreißig Zuschauer haben sich eingefunden; wohl um diese kleine Schar etwas fülliger wirken zu lassen, hat man vor der Bühne Tische und Stühle aufgestellt. Wenn man bedenkt, dass wir und sicher auch einige andere Zuschauer Freikarten gewonnen haben, bekommt man richtig Mitleid mit den Künstlern – viel Geld verdienen sie an diesem Auftritt sicher nicht.
Gruff Rhys hat dennoch eine vierköpfige Vorband, die ebenfalls aus Wales stammenden Y Niwl. Die Band hat nach eigener (beinahe einziger) Aussage nichts zu sagen und zu singen, man spielt deshalb instrumentalen 60s Surfrock, der besser zum bereits hinter ihnen hängenden Plakat von Gryff Rhys zu dessen neuer Platte Hotel Shampoo passt – es zeigt einen Sonnenuntergang am Palmenstrand - als zu ihren Pudelmützen. Auch die Setliste ist wenig eloquent: Die Liedtitel sind nämlich Nummern, und so folgt „6“ auf „7“ und dann irgendwann „2“. Die Erklärung dafür verstehe ich nicht so ganz, anscheinend ist das Gälische nicht nur schwer zu verstehen, sondern auch schwer zu schreiben?
Als Gruff Rhys anschließend die Bühne betritt, stellt sich heraus, dass die Vorband auch seine Band ist, es gibt auf dieser Tournee kein weiteres Personal. Das nun folgende Konzert ist eines der skurrilsten, die ich je gesehen habe. Angeblich darüber besorgt, dass ihn dank Dialekt keiner verstehen könnte, hat der Sänger verschiedene große Schilder dabei, auf denen ein Albumtitel sowie diverses anders (Danke, Applause – er zückt sie zum Beispiel nach dem Flötensolo eines Bandkollegen) geschrieben steht. Während einigen Liedern läuft als Hintergrund eine Schallplatte mit Vogelstimmen, die laut hörbar auf Finnisch erklärt werden. Erklärt werden uns auch einige Lieder in geradezu epischer Detailfülle: „Pwdin Wy 1“ handelt von einem Mädchen, das sich im ersten Teil des Lieder glücklich verliebt, im zweiten („Pwdin Wy 2“) aber bereits getrennt ist, zum Trost eine Weltreise unternimmt und dann in einem Internetcafé im südamerikanischen Dschungel erfährt, dass ihr Exfreund verstorben ist – und sie möglicherweise ebenfalls krank ist.
Auch der Inhalt von „Skylon“, einem Lied über ein Flugzeugattentat, dessen Scheitern und die beteiligten Personen, wird uns zwischendurch ganz genau erklärt, was den Song noch weit über seine sonst 14minütige Spieldauer ausweitet. Andere Lieder wie „Ni Yw Y Byd“ und „Gyrru Gyrru“ dagegen haben nur eine Textzeile, die gleichzeitig der Titel ist, da erübrigt sich dann das Erklären. Nichtsdestotrotz erfahren wir, dass „Gyrru Gyrru“ „Fahren Fahren“ bedeutet und der langen Anreise von Wien nach Frankfurt gewidmet ist.
Vor Beginn von „Rubble Rubble“ spielt uns Gruff Rhys schon einmal die erste Zeile vor, damit wir beim „echten“ Liedanfang die typischen „Oh, mein Lieblingslied“-Publikumsgeräusche machen können, was wir dann auch folgsam tun.
Abgesehen von den Schildern und den Vogelstimmen gibt es noch zahlreiche andere lustige Requisiten: Rhys’ Gitarre hat ein „Body Kit“ aus Pappe, weil er angeblich darunter leidet, das Gitarrespielen falsch herum erlernt zu haben und davon genervt ist, dass bei seinen Gitarren die dekorierte Oberseite immer unten ist. Das erste Lied, „Gwn Mi Wn“, dirigiert und begleitet er mit einer Art Elektro-Plastik-Schlagzeug, und auf die Vogelstimmen antwortet er mit einer Vogelpfeife. Für den Flugzeugentführungssong stehen eine Schwimmweste und ein Plastikgewehr zur Verfügung. CocoRosie hätten angesichts dieser Produktvielfalt sicher ihre Freude und könnten Herrn Rhys, der einen relativ normalen Cordanzug trägt, allenfalls noch Kostümtipps geben.
Obwohl wir so wenige Zuschauer sind und folglich nicht allzu viel Lärm machen können, bekommen wir sogar noch eine ziemlich lange Zugabe, in der Rhys zunächst zwei Titel solo darbietet, um dann mit einer Art Fernsehshow fortzufahren die (natürlich gibt es dazu ein passendes Schild und eine weiteren Schallplatte für ein Jingle) beginnt, in deren Rahmen ein Mitglied von Y Niwl einen Solosong („Gwestai?“) darbietet.
Und so ist es schon halb 12, als dieses Konzert wirklich zu Ende ist, und wir stellen fest, dass die wenigen Gäste für ihr Eintrittsgeld extrem viel Konzert bekommen haben. Nur "Christopher Columbus" wurde im Rahmen des langen Programms leider nicht gespielt, obwohl am Bühnenrand lange ein vielversprechendes Schild mit zweimal C teilweise hervor schaute - es handelte sich bei der Aufschrift dann aber leider um "Conservation Conversation", die Zugaben-Talkshow.
Setliste:
Gwn Mi Wn
Candylion
The Court of the King Arthur
House with no Mirrors
Pwdin Wy 1
Pwdin Wy 2
Sophie Softly
If we were Words
Sensations in the Dark
Conservation Conversation
Honey all over
Lonsome Words
Ni Yw Y Byd
Gyrru Gyrru
Cycle of Violence
Shark Ridden Waters
Rubble Rubble
Colonise The Moon
Gwestai?
Skylon
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