Ich habe ja schon das eine oder andere Mal vom mysteriösen Talent meines Freundes berichtet, Konzerte an Urlaubsorten zu finden - sei es beispielsweise Whipping Boy im irischen Dingle oder Get Well Soon im italienischen Rovereto. Bei der Planung des diesjährigen Sommerurlaubs in der Toskana hatte er es relativ leicht: Die Existenz des Lucca Summer Festivals war ihm bereits bekannt, da musste er nur noch Termine und Lineup abgleichen - und stellte fest, dass ausgerechnet seine "Bucket List"-Band Duran Duran auftreten sollte, und das sogar an einem passenden Termin. Allerdings: Dieser war nahezu ausverkauft, es gab nur noch Stehplatztickets zu kaufen. Nachdem das Festival auf einem öffentlichen Platz stattfindet, auf dem es auch Bäume und mindestens eine Statue gibt, ergaben sich größere Zweifel, wie viel man denn eigentlich ohne Sitzplatz würde sehen können.
Wir saßen die Sache aus, das Thema war mehr oder weniger erledigt (und das Konzert dann ausverkauft), da wurde ein Zusatztermin für zwei Tage nach dem ursprünglichen angekündigt, ebenfalls während unserer Urlaubszeit. Die Sitzplatz-Tickets waren wiederum wohl innerhalb von Minuten ausverkauft, es stellte sich ein weiteres Mal die Frage nach der Attraktivität eines Stehplatzes... und letztlich kauften wir dann wieder keine Tickets, bis auch für den zweiten Termin alle verkauft waren.
Mir war das eigentlich ganz recht. Der große Erfolg von Duran Duran fällt, anders, als bei so mancher anderen 1980er-Band, die wir in den letzten Jahren besucht haben, genau in meine Jugend, aber irgendwie habe ich an der Musik der fünf Herren aus Birmingham nie sonderlich viel Interesse entwickelt. So hatte ich auch 2005 nicht die Chance genutzt, die Band beim Hessentag in Weilburg zu sehen - übrigens abgesehen vom letzten Auftritt 2011 auch eine der jüngsten Gelegenheiten, ein Duran Duran-Konzert in Deutschland zu besuchen.
Dann kam der Urlaub, und just am Tag des ersten der beiden Konzerte besuchten wir eher zufällig Lucca (die Stadt ist nicht nur dank ihrer intakten Stadtmauer sehr hübsch und sehenswert). Beim Betreten der Innenstadt liefen wir zufällig direkt auf den Konzert-Platz, die Piazza Napoleone, auf der bereits Stühle und Tribüne standen, die Bühne war aufgebaut. Als wir die Location "in echt" sahen, wurde uns klar, dass der Platz in Wirklichkeit viel kleiner war als erwartet. Auch hinter den Stuhlreihen war man gar nicht so weit von der Bühne entfernt, und wenn man nicht gerade hinter einem Riesen stand, würde man die Band durchaus sehen können.
In meinem Freund erwachte der Ehrgeiz von Neuem: Irgendwie musste man doch an Tickets kommen können! Neben semi-seriösen Plattformen wie Viagogo versuchte er es auch via Ticketswap und eine italienische Plattform namens Ticketoo, wo zwar regelmäßig Tickets auftauchten, aber immer innerhalb von Sekunden verkauft waren. Irgendwann ergatterte er dann aber doch noch zwei Stehplatzkarten für den zweiten Auftritt, in etwa zum Normalpreis. Und so konnte er, der sich 1984 das Live-Album "Arena" gekauft hatte, Duran Duran schlappe 40 Jahre danach dann doch noch mit eigenen Augen sehen. Dass ich meine eigene Lustlosigkeit angesichts der Ereignisse nicht beibehalten konnte, versteht sich wohl von selbst.
So einfach wir zufällig vor der Bühne gelandet waren, so schwierig wurde es, als wir es zwei Abende später wieder versuchten: Der Platz war nun im Rahmen der Veranstaltung nämlich recht weitläufig abgesperrt, und wir mussten das Areal umrunden, bis wir den einzigen Eingang fanden. Der Konzertbeginn war für 21.30 Uhr angesetzt (es gab keine Vorband), aber der Einlass hatte bereits um 19 Uhr begonnen. Bei unserem Eintreffen eine Stunde nach Einlassbeginn gab es keine Schlange, allerdings waren viele Stehplatzkarteninhaber auch schon vor uns da gewesen. Wir fanden einen Ort mit leidlich guter Bühnensicht, aber nun hieß es noch eineinhalb Stunden warten. Der Tag war ohnehin heiß gewesen, zwischen lauter wartenden Menschen war es besonders stickig, die grundsätzlich langsam sinkende Lufttemperatur kam zu uns noch verzögerter durch. Neben uns wartete eine vierköpfige Familie mit recht jungen Kindern, alle mit Duran Duran T-Shirts, die meisten Konzertbesucher waren aber in einem Alter, in dem sie die Musik in den 1980er Jahren hatten erleben können.
Mit nur leichter Verspätung startete dann das Konzert mit einem Film, in dem die vier momentan aktiven Mitglieder der Band (Simon Le Bon, Nick Rhodes, John Taylor, Roger Taylor) zu den Klängen von "Velvet Newton" ein Raumschiff steuerten und als Superhelden und/oder Astronauten in einer Stadt landeten (der Film erinnerte ein wenig an ähnliche von Kraftwerk). Im Nebel betraten sie die Bühne. Als weitere Musiker waren ein Saxophonist, ein Gitarrist und zwei Sängerinnen mit von der Partie - bis auf eine der Sängerinnen alle langjährige Tourmusiker von Duran Duran.
Simon Le Bon trug eine glitzernde Hose und ein T-Shirt mit Neonaufdruck. Er wechselte später kurz in eine knallgelbe Lederjacke (die ihm sicher zu warm war) und erschien später für die Zugaben in einem Duran Duran-Shirt. Nick Rhodes ist seinem alten New Romantic-Stil treu geblieben und sah in seinem glänzenden Blazer mit übertriebenen Schulterpolstern aus, als sei er ein Fan der Romulaner bei Star Trek. Roger Taylor hatte sich für einen weit rockigeren Look entschieden, wobei man beim Anblick seines hautfarbenen Shirts manchmal dachte, er sei am Oberkörper nackt.
Das erste Lied, "Night Boat", kannte ich gleich einmal nicht. Es stammt von 1981, wurde aber auf dem letzten Album der Band von 2023 in einer neuen Version veröffentlicht. Das Publikum hatte auch ein Herz fürs Ungewöhnliche, denn bereits zu diesem Song standen die Sitzplatz-Inhaber mehrheitlich auf - nicht erst zum direkt nachfolgenden und wesentlich bekannteren "Wild Boys".
Die meisten Lieder wurden von passenden Videos und Animationen begleitet, im Fall von "Wild Boys" wurde das Monster aus dem Video von 1984 gezeigt, dazu gab es viele Flammen (zum Glück nur virtuelle ohne Einfluss auf die Temperatur).
Wir blieben zunächst bei den großen Hits, es folgte "Hungry Like a Wolf", danach erst ein Ausschnitt aus der James Bond-Titelmelodie, auf den (natürlich) Duran Durans eigener Beitrag zur Filmreihe folgte, "A View to a Kill". "Invisible" von 2021 kannte ich dann wieder nicht (es war eines von nur zwei Liedern des Abends, die aus diesem Jahrtausend stammten), dafür aber direkt anschließend einen der wohl bekanntesten Songs des Abends, "Notorious", für den Simon Le Bon das Publikum zum Wechselgesang "No No" - "Notorious" aufrief.
Duran Durans letzte Veröffentlichung war letztes Jahr ein Konzeptalbum zum Thema Halloween namens "Danse Macabre". Diesem entstammt auch eine halbe Coverversion namens "Lonely in Your Nightmare / Super Freak", die den alten Duran Duran-Song "Lonely in Your Nightmare" von 1982 und "Super Freak" von Rick James kombiniert. Den Song hörten wir nun, und hinterher drei weitere, die ich nicht kannte. Zumindest bei "Friends of Mine", einem sehr alten Albumtrack, stand ich mit meiner Ignoranz vielleicht nicht alleine da. Das Lied wurde mit Szenen aus alten Horrorfilmen untermalt, man sah unter anderem Christopher Lee als Dracula. Freunde von mir hätten sicher alle zuordnen können. Bei "The Chauffeur" standen Le Bon und Rhodes zunächst allein auf der Bühne, während die anderen Bandmitglieder erst nach und nach wieder erschienen. Le Bon griff gegen Ende des Songs zu einer Okarina-Flöte und spielte auf ihr.
Das nun folgende "Ordinary World" kannte ich wieder. Simon Le Bon leitete es damit ein, dass er sich Frieden für die Menschen in der Ukraine, in Gaza und auch in Israel wünsche. "Come Undone" sang er als Duett mit einer der Sängerinnen. Wenig später, zum sehr abgefeierten "Planet Earth", erfolgte die Band-Vorstellung, wobei Nick Rhodes, der seinen silbrigen Blazer auch bei 30 Grad nicht ablegte, von Le Bon als "the prince of shoulder pads" bezeichnet wurde. Sich selbst stellte er mit vor, als "My name is Bon, Simon Le Bon."
Nach "(Reach Up for the) Sunrise" hörten wir nun noch die eher schreckliche Coverversion "White Lines (Don't Don't Do It)" - ein weiterer Beitrag für meine Sammlung von nicht wirklich nachvollziehbaren Coverversionen bekannter Bands, die genügend eigene Songs im Sortiment hätten (weitere Listeneinträge: Placebo mit "Shout" und Depeche Mode mit "Heroes"). Gemeinsam mit "Careless Memories" war dies der rockigste Song des Abends.
Wir waren nun schon fast beim Ende der Setliste angelangt, mit "The Reflex" kam nun ein weiterer Höhepunkt für die Fans der Hits aus den 1980er Jahren und zudem der erfolgreichste Song der Band. Simon Le Bon gesellte sich gegen Ende des Liedes zu Nick Rhodes hinter dessen Keyboards und stellte ihm den Refrain "Why don't you use it?" als singende Frage, dieser antwortete mit "not when it's above 30 degrees, chap!"
Das Set wurde vorläufig durch einen weiteren Hit abgeschlossen, "Girls on Film", zu dessen Beginn Le Bon ankündigte, Rhodes werde nun mit einer alten Kamera Bilder des Publikums aufnehmen. Zu den Kamerageräuschen machte dieser offenbar tatsächlich ein paar Fotos mit seinem Smartphone. Das Lied wurde als Mashup mit "Psycho Killer" von den Talking Heads gespielt - ein weiterer Coversong von der Halloween-Platte.
Mein Freund und ich haben in der Vergangenheit schon ein paar Konzerte in Italien besucht und waren deshalb nicht sonderlich überrascht, dass es keine großen "Zugabe"-Rufe gab - Italiener warten offenbar lieber in Stille, ob noch etwas kommt, und applaudieren maximal ein bisschen. In diesem Fall reichte das völlig, die Band kehrte nochmals zurück und spielte erst "Save A Prayer", zu dem das Publikum aufgefordert wurde, die Handy-Taschenlampen anzuschalten. Der Anfang des Songs misslang zunächst, was Le Bon mit der Aussage kommentierte, es sei doch der Sinn davon. Konzerte zu besuchen, solche "Fuckups" zu erleben. Er spielte bei dem Song Akustik-Gitarre. Als Finale hörten wir dann noch "Rio", dann war das Konzert um kurz vor Mitternacht beendet.
Ich war erleichtert, dass ich doch die Mehrheit der Lieder gekannt hatte. Etwas schade fand ich, dass bis auf die absoluten Standards fast nichts gesagt wurde - beim ersten Lucca-Konzert war Simon Le Bon, wie man auf Youtube sehen konnte, etwas gesprächiger gewesen. Wobei ich volles Verständnis habe, wenn er nicht zweimal dasselbe erzählen wollte. So war das persönlichste an "unserem" Abend die Aussage, Italien und Duran Duran hätten immer eine besondere Beziehung gehabt - was übrigens rein faktisch stimmt, die Band hatte nirgendwo sonst mehr Nummer 1-Hits, und sogar in diesem Jahrtausend noch drei Nummer-2-Singles.
Der Abend hat meine grundsätzliche Meinung zu Duran Duran nicht verändert, aber mein Freund war natürlich sehr glücklich, die Band nach unserem holprigen Planungsprozess endlich live erlebt zu zu haben - und war auch zufrieden mit dem Konzertauftritt an sich, insbesondere der 1980er Jahre-lastigen Setliste.
Setliste: