Man könnte fast meinen, Corona sei vorbei: Schon wieder fuhren mein
Freund und ich am Freitagabend nach Köln, um dort ein Konzert zu
besuchen. Dieses Mal nicht am Tanzbrunnen, sondern auf einer umfunktionierten Open Air Fläche des Kölner Stadtgartens namens "Green Room". Nicht nur der Veranstaltungsort war uns neu, auch das Ticketkonzept war anders als gewohnt: Man konnte online nicht Karten, sondern Tische reservieren, und das auch nur als Zweier- oder Vierergruppe. Ein Einzelbesucher hätte (was aus Pandemieperspektive natürlich durchaus vernünftig ist) einen Zweitertisch reservieren müssen und damit doppelt bezahlt. Hinzu kam dann noch ein Mindestverzehr von 10 Euro pro Person - dieser wäre für den theoretischen Einzelbesucher dann ebenfalls doppelt angefallen, und vermutlich war auch deshalb keiner da. Das Konzert war dennoch ausverkauft.
Wenn man bei einem Konzert schon einmal einen eigenen Tisch hat und noch dazu etwas konsumieren "muss", kann man ja auch gleich vor Ort abendessen - dachten wir uns und kamen deutlich früher als zum angekündigten Beginn um 20 Uhr, man will der Band ja - unser Tisch war direkt vor der Bühne - nicht das gesamte Konzert lang etwas vormampfen. Um 19 Uhr waren wir allerdings die ersten Gäste, der Einlass hatte gerade erst begonnen.
Das Zeitpolster kam uns dennoch gelegen, denn während ich meinen bestellten Flammkuchen quasi postwendend erhielt, musste mein Freund so lange auf seinen Veggie-Burger warten, dass ich bei dessen Ankunft schon fast aufgegessen hatte. Der Green Room ist mit seinen 100 Sitzplätzen im Vergleich zum sonstigen Stadtgarten-Biergarten ein kleiner abgetrennter Bereich, hinter meinem Freund sah ich die ganze Zeit die Bedienungen auf- und abflitzen, die Küche hatte also ordentlich zu tun. Auch die Musiker sah ich im Biergarten bei einem Vor-Konzert-Abendessen sitzen.
Der Green Room ist weitestgehend überdacht, was sich im Laufe des Abends als vorteilhaft erwies. Es haben allerdings längst nicht alle Tische eine uneingeschränkte Sicht auf die kleine Eckbühne. Es wurden übrigens das gesamte Konzert lang Essen und Getränke serviert, was möglichst ruhig erfolgte, aber dennoch sehr ungewohnt war. Eine klirrende Bar, wie ich sie schon bei anderen Konzerten erlebte, stört aber mehr.
Kurz nach 8 begann dann das Konzert. Hannes Wittmer machte früher als Spaceman Spiff Musik, unter diesem Namen habe ich hier (und hier und hier) schon mehrmals über seine Auftritte berichtet. Zwischenzeitlich ist bei dem Musiker einiges passiert: Er hat seinen alten Künstlernamen an den Nagel gehängt und außerdem auch das Konzept seiner musikalischen "Leistungen" geändert: Seine Musik vertreibt er nun ausschließlich via seine Website bei optionaler Bezahlung, seine Liveauftritte sind normalerweise "pay what you want".
Wittmer ist aktuell auf einer Minitour in Deutschland, Köln bildete den Auftakt, so dass er und seine Mitmusikerin Clara Jochum nach eigenen Angaben besonders froh und aufgeregt waren. Die meisten Lieder wurden von Wittmer angekündigt und ein bisschen erklärt, während ihn Jochum nicht nur am Cello, sondern auch am Glockenspiel und Keyboard unterstützte, zwischendurch für drei Lieder die Bühne verließ und dann später mit frisch gefüllten Weingläsern zurückkehrte.
Wittmer hat vor Kurzem auf seiner Website ein Minialbum veröffentlicht, das er komplett spielte - die Songs wurden jeweils als "Fast-Weltpremiere" angekündigt, da Wittmer sie erst einmal in Würzburg live gespielt hatte. Zusätzlich hörten wir Songs von seinem ersten Album "Das große Spektakel" und auch alte Spaceman Spiff-Lieder.
Zu vielen bekamen wir live Erklärungen - während Wittmer am Anfang des Abends noch meinte, er werde weniger erzählen als bei seinem letzten Kölner Konzert im Artheater, musste er das später zurücknehmen, weil er dann doch recht viel zu sagen hatte. Beispielsweise hörten wir, dass "Rom" inhaltlich betrachtet eine Fortsetzung von "Teesatz" ist, und dass er zunächst überrascht war, als ihn eine Freundin bat, auf ihrer Hochzeit ausgerechnet "Norden" zu spielen - ein Lied, dass er selbst bis dahin für eher anti-partnerschaftlich gehalten hatte. Er denkt aber nun, dass man das Lied auch anders verstehen kann, nämlich als Verständig von Liebe als Bereitschaft, die eigene Freiheit freiwillig für jemand anderen einzuschränken - was ihm wiederum am Vorabend einer weiteren Anti-Corona-Maßnahmen-Demonstration in Berlin als wichtige Botschaft erschien.
"Schatten" hörten wir in einer neuen Version, für die er die ursprünglich fürs Klavier gedachten Passagen auf die Gitarre übertragen hatte, denn live Klavier spielen macht ihn nervös. Überhaupt, die Versionen: Während das meiste, das wir an diesem Abend hörten, natürlich akustisch war, erklangen bei "Mind the Gap" und "Vorwärts ist keine Richtung" plötzlich - vorab aufgenommene - Schlagzeugklänge. Wittmer erwähnte, das sei "Jonny aus der Dose", da sein Schlagzeuger Jonny König bei der Tour aus Abstand-Gründen nicht dabei sein kann. Die Lieder mit Percussion boten schöne Abwechslung. Eine weitere hatte vorher schon "10.000 Kilometer" dargestellt, denn Wittmer spielte es an Stelle eines eigentlich anderen, geplanten Liedes, weil seiner Meinung nach die Stimmung zu ruhig und sentimental geworden wäre. So gab es auch ein bisschen Krach.
Das gängige Konzertkonzept "Band kommt scheinbar zum Ende, nach Applaus kommen ohnehin eingeplante Zugaben" wurde übrigens für diesen Abend ausgesetzt, wir erfuhren einfach, dass "Satelliten" das offiziell letzte Lied gewesen wäre und anschließend die "Zugaben" kamen.
Im Anschluss an das Konzert hätte man noch diverse Tonträger erwerben können, mein Freund hatte allerdings das Luxusproblem, bereits alles zu besitzen.
Ein gutes Konzert in angenehmer Atmosphäre - schön, dass uns dieser Sommer zumindest drei Open Air-Konzrte beschert hat, denn bald wird es vermutlich zu kalt sein, um draußen Musik genießen zu können.
Setliste:
Fragen
Teesatz
Rom
Ich du er sie ich
Straßen
Norden
Die Beschissenheit der Welt
100 000 Kilometer
Schatten
Han Solo
Oh Bartleby
Die letzte Eule in Athen
Nachruf
Mind the Gap
Satelliten
Photonenkanonen
Vorwärts ist keine Richtung
Lichtgeschwindigkeit