Es ist sage und schreibe sechs Jahre her, dass mein Freund und ich die erste Ausgabe des Cologne Popfests besucht haben. Im Jahr danach waren wir nicht dabei, dann folgte eine Pandemie und jetzt haben wir 2024 - und das Fest fand endlich und nach diversen Versuchen zum dritten Mal statt. Man hatte sich schon länger entschlossen, vom Veranstaltungsort Blue Shell ins größere Gebäude 9 umzuziehen und hatte auch dieses mühelos ausverkaufen können. Lediglich für einen der beiden Tage hätte es für spontane Besucher noch wenige Tagestickets gegeben.
Mein Freund war besonders begeistert über die Ankündigung gewesen, dass an diesem ersten Festivalabend die Shout Out Louds nicht nur auftreten, sondern auch ihr erstes Album "Howl Howl Gaff Gaff" komplett spielen würden.
Als wir Köln Deutz und das Festival erreichten, war das Gebäude 9 bereits recht gut gefüllt, und aus allen Richtungen strömten weitere Besucher heran. Wir waren kaum im Konzertraum angekommen, als schon die erste Band auftrat: Die Zärtlichkeit.
Die Kölner waren ursprünglich ein Duo, bestehend aus dem Sänger Andreas Fischer und Tobias Emmerich (Bass, Gitarre, Synthesizer), man ist aber mittlerweile zum Quartett mit Schlagzeuger und Bassist angewachsen. Fischer stand klar im Zentrum des Auftritts, wobei uns vor allem seine sehr ungewöhnliche Hose beeindruckte. Deren riesige, auffällige Taschen schienen so konstruiert zu sein, dass der Besitzer selbst sie eher schwer nutzen konnte, aber es ging wohl auch eher ums modische Statement.
Die Band betrat die Bühne zu den Klängen eines Schlagers, in dem von Zärtlichkeit die Rede war. Der Auftritt selbst litt am Anfang unter wiederholten Problemen mit dem Bass, die für uns im Zuschauerraum allerdings gar nicht hörbar waren. Musikalisch orientiert man sich am Jangle Pop der 1980er Jahre, nur eben auf Deutsch. Zu manchen Lieder bekamen wir Erklärungen, etwa, dass "France Galle" von einem Urlaub handelt, der nie stattgefunden hat. Mit "Ahnungslos" hatte man auch einen neuen Song dabei.
Die Erweiterung des Lineups hat dem Sound der Band gut getan - er klang live deutlich mitreißender und abwechslungsreicher als auf Platte. Die Band sparte auch nicht an Lob für die Festivalmacher und die - wirklich sehr gut gelungene - Bühnendekoration, was zusätzlich zu einem erfolgreichen Festivalauftakt beitrug.
Setliste:
So einfach war es nie
Ahnungslos
Stimmen
Star
Angst
France Gall
Montagmorgen
Vienna
Chaos
Nach einer überraschend kurzen Umbaupause war es Zeit für Ta Toy Boy. Rein optisch hätte ich das Quartett definitiv für Briten gehalten, wie viele Mitglieder des Publikums waren sie modisch in der Britpop-Ära angesiedelt, der Sänger trug beispielsweise eine braune Strickjacke mit Ellenbogen-Patches. Tatsächlich war die Band aber aus Thessaloniki angereist und hatte offenbar auch einige griechische Fans mitgebracht, die den Auftritt begeistert verfolgten.
Auch im Sound erkannte man als Einflüsse diverse Bands aus England, vor einem Instrumentalstück spielte der Sänger, der hinter einem Keyboard stand, sogar kurz im Orgelsound einen Song Inspiral Carpets an. Eine weitere Referenz sind die Popfest-Veteranen The Frank and Walters.
Die Band spielte eine Zusammenstellung von Songs ihrer ersten beiden Alben. Drei neuere Titel wurden ebenfalls gespielt: das noch unveröffentlichte "Sad Boys", "Antony" und "Cheap Suits. Den letztgenannten Song konnte man auch als Teil der eigens produzierten Festival-Vinylsingle erwerben.
Auch Ta Toy Boy machten live mehr Spaß als auf ihren Veröffentlichungen. Neben dem fast obligatorischen Lob für die Festivalmacher, das fast jede Band äußerte, waren die Griechen auch eine von mehreren Bands, die ein besonderes Dankeschön für die eigene Plattenfirma aussprachen.
Und schon war die Zeit für den Headliner gekommen! Der Auftritt begann mit etwas Verspätung. Zum Leidwesen meines Freundes, der sich immer viel Mühe gibt, gute Fotos der Musiker zu machen, hatten die Shout Out Louds wieder einmal viel Nebel dabei, und betraten die Bühne in Dunkelheit. Erst zu den ersten Keyboardklängen von "The Comeback" ging das Licht an. Auf dem Programm stand für diesen Abend, das Debütalbum "Howl Howl Gaff Gaff" anlässlich seines 20. Geburtstags komplett zu spielen - Adam Olenius kündigte das an und bemerkte zugleich, dass wir somit auch die Setliste kannten.
In der Wartezeit hatten sich in Gesprächen ein wenig die Altersunterschiede zwischen meinem Freund und mir und anderen Besuchern offenbart: Wir beide standen 2005 bereits im Berufsleben, während viele Anwesende das Album des Abends mit ihrer Jugend, Parties, ersten Autofahrten und so weiter verbinden. Und so wurde um uns herum viel, laut und inbrünstig mitgesungen und mitgetanzt. Kein Wunder, denn die Platte enthält die Songs "The Comeback", "Please Please Please" und "100°".
Extra für das Jubiläum hatte auch der ehemalige Drummer Eric Edmans vorübergehend zurück in die Band gefunden. Von Adam erfuhren wir außerdem, dass die Anfrage der Popfest-Organisatoren letztlich der Anlass gewesen war, um den Auftritt herum eine Minitour zu planen, die sie auch nach Hamburg, Berlin und München führte.
Zur Ballade "Go Sadness" wurde ins Publikum gefragt, ob es noch Raucher gäbe, denn nun könne man schön sein Feuerzeug schwenken - es zeigte sich, dass doch einige Besucher eines dabei hatten. Schneller als erhofft endete das Album mit "Seagull", wir bekamen aber als Zugabe noch einige ausgewählte Singles von anderen Alben zu hören. Trotz des leicht verspäteten Auftritts bei einem Festival (was eine Kürzung erwarten ließe) wurden genauso viele Lieder gespielt wie bei anderen Auftritten, wir hörten also noch vier.
Adam verließ für "Tonight I have to leave it" die Bühne, sang, während er durchs Publikum schritt und nutzte eine mitgebrachte Taschenlampe, um eine Discokugel in der Mitte des dunklen Raums anzuleuchten. Als er am hinteren Ende der Halle angekommen war, wurden Instrumente und Gesang immer leiser, um dann abrupt wieder anzuschwellen und alle singen und tanzen zu lassen.
Am Merchandise-Stand stellte mein Freund fest, dass die Shout Out Louds ihm einen langehegten Wunsch erfüllt hatten und "Howl Howl Gaff Gaff" für diese Tour auf Vinyl neu aufgelegt hatten. Während er mit seinem Freund anstand, um die Platte zu kaufen, meinte dieser zu ihm "Das ist unser Album! Das sage ich zu meiner Freundin aber auch immer."
Very Loud (including Last Nite by The Strokes)
Oh, Sweetheart
A Track and a Train
Go Sadness
Please Please Please
100°
There's Nothing
Hurry Up Let's Go
Shut Your Eyes
Seagull
Jumbo Jet
Impossible
Walls
Tonight I Have to Leave It
Der "greatest Hits"-Teil des Sets hätte durchaus noch länger dauern dürfen, aber für Feierwütige begann nun auch erst der Party-Teil des Abends. Wir waren allerdings nach einem normalen Arbeitstag schon ordentlich müde und froh über unsere Entscheidung, diese Nacht in einem Kölner Hotel zu verbringen.